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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
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sehen!«, schrie Marina.
    Carta richtete sich ein Stück weit auf, um es sich anzusehen. »Hilf mir, Marina…« Sie langte nach unten, um Reginas Damm zu stützen, und legte die Hand um den Kopf des Kindes. »Es hat die Nabelschnur um den Hals… Onkel, gib mir das Messer. Sofort, du alter Narr!« Trotz ihrer Schmerzen spürte Regina, wie Cartas Hände zitterten, während sie arbeitete.
    Als die Nabelschnur durchgeschnitten war, glitt das Kind zügig heraus und fiel mit einem letzten Schwall Flüssigkeit in Marinas wartende Arme. Marina wischte Schleim vom winzigen Mund des Neugeborenen. Carta blieb bei Regina, bis die Nachgeburt herausgekommen war, und stopfte ihr dann Moos in die Vagina, um die Blutung zu stillen.
    Trotz ihrer Schwäche und Erschöpfung hatte Regina nur Augen für ihr Kind, das mit dünner Stimme zu schreien begonnen hatte. »Zeig es mir…«
    »Es ist ein Mädchen«, sagte Marina mit leuchtenden Augen. Sie hatte das Kind in eine saubere Decke gehüllt und beugte sich nun zu Regina herunter, damit sie das runde, rosafarbene Gesicht sehen konnte.
    Carta sagte: »Ich glaube… ich glaube…« Und sie fiel nach hinten und sank zu Boden. Regina versuchte, nach ihr zu sehen, konnte aber den Kopf nicht heben.
    »Cartumandua!«, rief Carausias. »Komm, komm, meine kleine Nichte, das geht doch nicht.« Er tastete nach einer kleinen Flasche; Regina wusste, dass sie einen Tollkirschenextrakt enthielt, ein Herzstimulans, das sie bei Exsuperius teuer erstanden hatten. Er versuchte, Carta ein paar Tropfen zwischen die Lippen zu träufeln, aber ihr Gesicht war wie eine wächserne Maske.
    Die Göttin lag schwer auf Reginas Brust. Furcht und Zorn durchströmten sie. »Nein! Nein, du Sau, du Miststück, du Kuh, du Hure, Cartumandua! Du wirst mich nicht verlassen, du nicht auch noch, du Sklavin, nicht jetzt!«
    Aber Carta antwortete nicht, nicht einmal, um sich zu entschuldigen. Das Kind schrie weiter, dünn und unheimlich.
     
    An diesem Abend kam Severus von der Jagd zurück. Er sah das Kind, das Durcheinander in der Hütte, Cartas Leiche.
    Severus blieb noch diese Nacht und die nächste. Er half Carausias und Marina, den Leichnam herzurichten, und grub mit dem Pflug ein flaches Grab in den felsigen Boden auf der Hügelkuppe. Doch als Carta begraben war, ging er fort. Er nahm nur mit, was er am Leib trug. Regina wusste, dass sie ihn nie wiedersehen würden.

 
14
     
     
    »Zusammen mit den anderen folgte ich General Clark die Stufen der cordonata zur Piazza del Campidoglio auf dem kapitolinischen Hügel hinauf. Und überall um Rom herum läuteten die Glocken der campanili …«
    Lou Casella, der Onkel meiner Mutter, mein Großonkel, war über achtzig. Er war ein kleiner, stämmiger Mann, kahl bis auf einen Kranz schneeweißer Haare, mit leberfleckiger Haut, die sich über eindrucksvolle Muskeln spannte. Seine Stimme war leise, heiser, und für meine hauptsächlich von Spielfilmen und dem Fernsehen erzogenen Ohren klang er wie ein klassischer Italoamerikaner aus New York, vielleicht so ähnlich wie ein alter Danny de Vito. Er saß da und schaute auf den Lake Worth hinaus; das Licht des Sonnenuntergangs schimmerte in seinen wässrigen, vertrauten Augen – den Familienaugen, grau wie Rauch –, während er mir erzählte, wie er im Juni 1944 im Alter von zweiundzwanzig Jahren als Adjutant von General Mark Clark, dem Oberbefehlshaber der siegreichen Fünften Armee, in Rom einmarschiert war.
    »An der Stelle, wo ich mit Clark stand, hat Brutus gleich nach Caesars Ermordung einmal zum Volk gesprochen. Augustus hat Jupiter hier Opfergaben dargebracht. Griechische Mönche haben sich durchs dunkle Mittelalter gebetet. Gibbon wurde an diesem Ort zur Abfassung seiner großen Geschichte inspiriert. Und nun waren wir hier, ein Haufen zerlumpter GIs. Aber wir hatten bereits unser eigenes Stück Geschichte geschrieben. Ich sah nur Gesichter, abertausende römischer Gesichter, die zu uns aufschauten.
    Und schon damals wusste ich, dass ich in dieser von Hoffnung erfüllten Menge Verwandte finden würde…«
     
    Ich hatte Lou in einem Altersheim nahe der Seaspray Avenue in Palm Beach gefunden.
    »Was, zum Teufel, ist das denn für ’n Mantel?«, wollte er mit Blick auf meinen Dufflecoat wissen. Es war das Erste, was er zu mir sagte. »Was glaubst du, wo du bist, in Alaska? So ein Ding hab ich seit meiner Zeit in der Army nicht mehr zu Gesicht bekommen.«
    Ich hatte eine Weile gebraucht, um ihn aufzuspüren. Die Adresse, die

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