Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
der Befreier.
    Er hatte »ein Nest von Casellas« entdeckt, wie er es nannte, eine große Familie, die unter dem strengen Auge einer schwarz gekleideten Witwe lebte, einer Cousine seines Vaters, wie sich herausstellte. »Es war ein kleines Haus in einem heruntergekommenen Vorort. Das heißt, er war schon vor der verdammten Besetzung heruntergekommen. Und jetzt wohnten da so an die zwanzig Leute auf einem Haufen. Flüchtlinge, sogar ein verwundeter Soldat.«
    »Alles Verwandte?«
    »Jawohl. Und sie konnten nirgends anders hin. Sie haben mich sehr freundlich empfangen. Ich war ein Befreiungsheld und ein Mitglied der Familie. Sie haben mir eine gewaltige Mahlzeit vorgesetzt, obwohl sie selbst so wenig hatten. Tante Cara hat eine Badewanne Risotto mit Pilzen gekocht – fest und dick und buttrig, obwohl Gott weiß, woher sie die Butter hatte…« Er schloss die Augen. »Ich habe den Geschmack bis auf den heutigen Tag im Mund. Sie haben mich natürlich um Hilfe gebeten. Ich konnte mich nicht über die Vorschriften hinwegsetzen, aber ich habe getan, was ich konnte. Ich hatte mein eigenes Gehalt, meine eigenen Rationen; einen Teil davon habe ich abgezwackt.
    Ein paar von den Kindern dort waren krank. Zwei Jungs und ein Mädchen. Sie waren blass, ihre Augen lagen tief in den Höhlen, und sie husteten… Ich konnte nicht sagen, was ihnen fehlte, aber es sah schlimm aus. Sie mussten auf die zivilen Ärzte warten, bis sie an der Reihe waren, und in jenen Tagen waren Arzneimittel knapper als alles andere, wie du dir vorstellen kannst. Ich habe versucht, einen Sanitäter der Army dorthin zu holen, aber der hat sich natürlich geweigert.«
    »Und da hast du dich an Maria Ludovica gewandt?«
    »Es war das Einzige, was mir einfiel.«
    Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Maria Ludovica bereits auf die Suche nach ihm gemacht. In einer Umkehrung von Lous Suche nach Angehörigen hatten Maria oder andere vom Mächtigen Orden der Heiligen Maria, Königin der Jungfrauen, bei den neuen Invasoren Roms nach familiären Verbindungen geforscht und waren dabei auf Lou gestoßen.
    »Maria war wirklich deine Cousine?«
    »Nein. Etwas weiter entfernt. Denk daran, es waren meine Großeltern – deine… äh… Urgroßeltern, vermute ich –, die aus Rom in die Staaten gegangen waren. Zum Teufel, ich habe keine Ahnung, wie man unsere Verwandtschaftsbeziehung bezeichnen würde. Aber sie war eine Casella, so viel stand fest. Diese grauen Augen, weißt du – du hast sie doch auch«, sagte er und sah mich an. »Aber sie trug das schwarze Haar hochgesteckt, hatte Wangenknochen, von denen man hätte essen können, und einen Arsch – tja, ich sollte so was wohl nicht zu einem jungen Burschen wie dir sagen. Aber sie war unglaublich sexy. Kein Wunder, dass Mussolini die Finger nicht von ihr lassen konnte.«
    »Mussolini?«
    »Sie war nie eine Faschistin – das hat sie mir erzählt, na ja, was hätte sie 1944 auch sonst zu einem amerikanischen Soldaten sagen sollen –, aber ich habe ihr geglaubt. Wie sich rausgestellt hat, kannte sie den Duce seit den Dreißigerjahren. Sie hatte ihn das erste Mal im Oktober 1922 gesehen, als er an die Macht gekommen war und sie sich am Marsch auf Rom beteiligt hatte: vier Kolonnen, sechsundzwanzigtausend Mann stark, auf dem Weg in die Stadt. Das Militär und die Polizei traten einfach beiseite, als all diese Schwarzhemden einmarschierten.
    Maria wurde irgendwie mitgeschwemmt; dort, wo sie herkam – aus Ravenna im Norden –, galt es als klug, mit dem Strom zu schwimmen.«
    »Und sie wurde… was? Seine Mätresse?«
    »So könnte man’s nennen. Am Weihnachtsabend ’33 sah sie ihn das erste Mal von Angesicht zu Angesicht, als sie als eine der dreiundneunzig fruchtbarsten Frauen des Landes nach Rom geholt wurde.«
    »Das ist nicht dein Ernst.«
    »Und ob. Dreiundneunzig Frauen mit schwarzen Kopftüchern, Mütter von dreizehnhundert kleinen Italienern, Soldaten für den Faschismus.«
    Ich rechnete rasch nach. »Vierzehn pro Person?«
    Er grinste. »Sie waren Heldinnen. Aber wir sind schon immer eine fruchtbare Familie gewesen, George. Unsere Frauen sind außerdem bis ins hohe Alter fruchtbar.« Das stimmte, überlegte ich und dachte an Gina. »Man zeigte den heldenhaften Müttern die Stadt, und sie sahen sich die Ausstellung der faschistischen Revolution an, wo Maria eine Glasvitrine mit einem blutbefleckten Taschentuch drin küsste – der Duce hatte es an eine Schusswunde in seiner Nase gedrückt, nachdem er einen Mordanschlag

Weitere Kostenlose Bücher