Der Orden
Einen weiteren Teil des erjagten Fleisches hatten sie bei Exsuperius gegen Saatgut für Weizen und verschiedene Kohlsorten eingetauscht. Und jetzt, so erinnerte Regina sich undeutlich von ihrem Leben in der Villa, kam die Zeit zum Pflügen und Pflanzen.
Aber mit dem Fußpflug konnte man nur eine flache Furche in den Boden kratzen. Sie ärgerte sich, wenn sie daran dachte, wie die Pächter ihres Vaters das Erdreich auf riesigen Flächen mit Ochsengespannen aufgebrochen hatten, während sie auf dieses jämmerliche Scharren beschränkt war. Exsuperius hatte ihnen jedoch mit kargen Worten den Rat gegeben, ihre Felder zweimal zu pflügen, und zwar in einem Kreuzmuster, um den Boden stärker zu lockern. Und als sie nun zur zweiten Furchenreihe kam, stellte sie fest, dass der Pflug geradezu in den bereits aufgebrochenen Boden hineinglitt.
Gegen Mittag hatten sich ihre Muskeln gründlich erwärmt, und die Sonne spendete auch ihrem Gesicht ein wenig Wärme.
Nach so vielen Monaten verspürte sie keine derart obsessive Bitterkeit mehr bei dem Gedanken an Aetius, Marcus, Julia und Amator – vor allem Amator –, all die Menschen, die sie auf die eine oder andere Weise verlassen hatten. Was ihre Gefährten hier auf dem Hof betraf, so hatte sie der Zufall zusammengeführt, und sie waren allesamt nicht vollkommen: Carausias war ein vertrauensseliger alter Narr, Severus faul, egoistisch und mürrisch, Marina furchtsam und ohne Unternehmungsgeist, und Carta – die liebe Carta – nunmehr schrecklich geschwächt. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte Regina mit diesen Leuten sicherlich nicht ihr neunzehntes Lebensjahr verbracht. Aber es waren ihre Leute, wie sie nun allmählich erkannte: Es waren die Menschen, die sie nach dem Tod ihres Großvaters aufgenommen, ihr nach besten Kräften Zuflucht gewährt hatten…
In diesem Augenblick, als sie zum ersten Mal seit jener Nacht mit Amator fast wieder so etwas wie Zufriedenheit empfand, kam die erste Wehe. Sie fiel zu Boden und schrie nach Carta, während Wogen des Schmerzes über ihren Bauch liefen.
Was dann kam, war eine Abfolge verschwommener Bilder. Da waren Marina und der alte Carausias, deren Gesichter sich wie Monde über ihr abzeichneten. Sie waren zu schwach, um sie zu tragen, deshalb musste sie sich hochrappeln und, schwer auf ihre Schultern gestützt, zum Haus humpeln.
Cartas Gesicht war gelb und wirkte abgespannt. Sie sah aus, als könnte sie selber kaum aufrecht stehen. Aber sie legte ihre Hände auf Reginas Bauch und ertastete die pulsierenden Muskeln, die Lage des Kindes.
»Es ist zu früh!«, rief Regina. »O Carta, mach, dass es aufhört!«
Carta schüttelte den Kopf. »Das Kind hat seine eigene Zeit… Leg sie aufs Bett, Marina, schnell.« Sie zog Reginas von der Erde auf den Feldern verschmutzte Tunika hoch und legte ihr ein Holzbrett aus einem der anderen Gebäude unter den Po.
»Hier. Nimm das.« Carausias ragte über ihr auf. Er hatte ihr eine ihrer kostbaren matres gebracht. Die zumindest hatten sie nie verlassen; sie drückte die klobige kleine Statue an ihre Brust.
Die Wehen kamen jetzt in Wellen.
»Regina, zieh die Knie an«, blaffte Carta. Regina langte hinunter, hakte mit einer gewaltigen Anstrengung die Finger hinter ihre Knie und zog die Beine hoch und auseinander.
Carta zwang sich zu einem Lächeln. »Ich weiß, ich hätte dich nicht dieses elende Feld pflügen lassen dürfen.«
»Und wer hätte es sonst tun sollen?… Auu! Carta…«
»Ja?«
»Du hast das doch schon mal gemacht, oder?«
»Was, ein Kind zur Welt gebracht? Hast du schon mal ein Feld gepflügt?«
Bei der nächsten Wehe wurde der Schmerz unglaublich stark, so als würde sie langsam zerrissen.
Carta beugte sich näher zu ihr herunter. Trotz ihrer eigenen Schmerzen sah Regina, wie blass sie war; ihr weißes Gesicht glänzte von öligem Schweiß. »Regina, hör mir zu. Ich muss dir etwas sagen.«
»Kann das nicht warten?«
»Nein, mein Kind«, sagte Carta traurig. »Nein, ich glaube nicht. Dein Vater… du weißt doch noch, wie er gestorben ist?«
Es war ein schreckliches Bild, das durch die Wolken von Reginas Schmerz wehte. »Wie sollte ich das je vergessen.«
»Ich war es.«
»Was?«
»Ich war diejenige, mit der er untreu war. Ich war der Grund, weshalb er sich bestraft hat.«
Regina schnappte nach Luft. »Carta, wie konntest du? Du hast meine Mutter hintergangen.«
Cartas blutleere Lippen arbeiteten. »Er hat mir keine Wahl gelassen.«
»Ich kann seinen Kopf
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