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Der Orksammler

Der Orksammler

Titel: Der Orksammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lossau , Jens Schumacher
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je in Sdoom realisiert worden war. Die Gelehrten umliegender Reiche stritten seit Generationen darüber, ob nicht auch ihre Thaumaturgen zu etwas Vergleichbarem in der Lage gewesen wären. Faktisch war dies jedoch irrelevant, da kein anderes Land über ähnlich unvorteilhafte geologische Gegebenheiten verfügte wie Sdoom; nirgendwo sonst bestand Bedarf nach einem Ort wie diesem, einem Krematorium von den Ausmaßen einer Stadt.
    Der Junge sah sich suchend um. Er war davon ausgegangen, dass man eine Eskorte schicken würde, um ihn in Empfang zu nehmen. Von einer solchen war jedoch weit und breit nichts zu sehen. Lediglich einen Steinwurf zu seiner Linken, vor einem klobigen Eisenbrunnen mit einer stark vereinfachten geschmiedeten Darstellung K’talmars in der Mitte, hockten drei Männer mit bartschattigen Gesichtern und ließen eine Weinflasche kreisen. Diverse leere Gefäße am Boden ließen darauf schließen, dass sie den Abend bereits weidlich zu nutzen verstanden hatten.
    Der Knabe stieß einen Fluch auffallend blasphemischen Inhalts aus, zumindest für einen Halbwüchsigen. Eine kleine Ader an seiner linken Schläfe begann zu pochen, während er seine Gepäckstücke erneut zu Boden poltern ließ und mit ungelenken Bewegungen auf dem blechernen Kasten Platz nahm.
    »Hey, hey, kleiner Mann!« Eine Stimme, rau von lebenslangem Grölen und ebensolcher Zufuhr von Alkohol. »Wer hat dir denn solche Rede beigebracht, bei Ubalthes?«
    Einer der drei Trinker vom Brunnen hatte den erbosten Ausruf des Knaben gehört. Er hob die Weinflasche an die Lippen und nahm einen tiefen Schluck. »Solltest dich deines ärmlichen Lebens freuen, anstatt die Götter zu schmähen, du Bengel. Hast allen Grund zur Freude.« Er wies mit der Flasche in Richtung des Bahnhofsgebäudes. »Wer in Torrlem aussteigt, ist normalerweise nicht mehr allzu agil!« Der Betrunkene brach in röhrendes Gelächter aus.
    Der Knabe fixierte ihn mit unverhohlenem Ekel. »Immer das Gleiche«, murmelte er kopfschüttelnd. »Wohin es einen auch verschlägt, sei es der hinterletzte Ort am Anus Lorgons des Allmächtigen – der Abschaum ist stets vor einem da.« Er wandte den Blick ab und begann, in seinem Gewand nach etwas zu kramen.
    Doch er hatte die Rechnung ohne das scharfe Gehör des Trinkers gemacht. Mit einem Ruck erhob sich der Mann von der Brunnenumrandung.
    »Was hast du da gesagt, Balg?«, stieß er hervor. »Ich werd dich Respekt vor Erwachsenen lehren, du mistiger Wicht!«
    Schwankend kam der Alkoholisierte näher. Er hatte die Proportionen eines Schrankes, der bemerkenswert kleine Kopf schien ohne Hals direkt in die Schultern überzugehen. Noch knapp zehn Schritte entfernt begann er an seinem Hosenbund herumzufummeln, und kurz hatte es den Anschein, als wolle er sich seines Beinkleids entledigen. Dann jedoch blitzte ein Dolch in seiner Hand auf, den er in einer verborgenen Scheide getragen haben musste. Mit der gut eine Elle langen Waffe vollführte er einige ungeschickte Streiche durch die Luft.
    »Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du keinen ehrbaren Bürger Torrlems mehr beleidigen, das schwöre ich bei K’talmar dem Gerechten!«
    Der weißhäutige Junge blinzelte irritiert. Von den Arbeitern, die in der Grabstadt lebten, war bekannt, dass ihre jahrelange monotone Arbeit, die mangelnden sozialen Kontakte und nicht zuletzt die ständige Gegenwart von Leichen bei einigen zu einer gewissen nervlichen Zerrüttung führten. Nach Jahrzehnten des Umgangs mit reglosen Leibern, die man behandelte wie andernorts Holzstämme oder Ziegelsteine, kam es nicht selten zu einer Verschiebung des persönlichen Wertesystems: Im gleichen Maße, wie die Arbeiter abstumpften, sank die Schwelle ihrer Gewaltbereitschaft. Streitereien und bewaffnete Auseinandersetzungen waren keine Seltenheit. Was zählte schon eine weitere Leiche in einer Stadt der Toten?
    Es war schwer zu sagen, ob es sich bei dem Angetrunkenen ebenfalls so verhielt oder seine Streitsucht allein Resultat des genossenen Alkohols war. Im Grunde machte es aber keinen Unterschied.
    Der Knabe seufzte und hob beschwichtigend die Hand. »Falls ich Sie beleidigt haben sollte, tut mir das leid, guter Mann«, erklärte er. »Es lag nicht in meiner Absicht, Sie oder sonst einen Bürger Ihrer schönen Stadt …«
    »Bah! Den Schwanz einklemmen, was?« Der Betrunkene stolperte vorwärts. Sein Messer funkelte unheilvoll im Licht der Straßenbeleuchtung. »Hinterhältig und feige ist sie, die Jugend. Aber so einfach

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