Der Osmanische Staat 1300-1922
im Osten. Erst nach einem weiteren Jahrhundert erreichten
die neuangekommenen Sephardim die Hegemonie über die alteingesessenen
aschkenasischen Gruppen. Im 16. Jahrhundert waren die Hauptzentren der osmanischen Juden neben Istanbul und Saloniki vor allem Edirne und Safed. Ihr
Status als loyale Gruppe übertraf teilweise den der christlichen Untertanen. Die
Gemeinde von Izmir erlangte erst im 17./18. Jahrhundert Bedeutung. Eine eigene
Gruppe bildeten aus Portugal stammende, zum Judentum zurückgekehrte
conversos. Das zahlenmäßige Gewicht der Einwanderer war jedoch geringer als
bisher angenommen. Es dürfte mehrere Zehntausend nicht überschritten haben.
Eine Besonderheit bildeten kleine Exilgruppen aus Polen und Ungarn, die nach
1848 dem Druck Rußlands bzw. Habsburg auswichen.
Binnenwanderung
Auswanderung
Abgesehen von der Anziehungskraft Istanbuls und anderer Städte waren im
19. Jahrhundert landwirtschaftlich begünstigte Gegenden wie die kilikische Ebene
oder Teile Westanatoliens Ziele von Binnenwanderungen. Der Ausbau großer
Landgüter in Westanatolien lockte zahlreiche Griechen von den Inseln aufs
Festland. Die Vereinigten Staaten zogen vor allem Christen aus dem syrischlibanesischen Raum an. Anatolien kannte im 19. Jahrhundert fast ausschließlich
eine Emigration von Armenier und Assyro-Chaldäern.
Hungersnöte
Epidemien
Naturkatastrophen
Die Quellen sprechen oft von Mißernten in einzelnen Provinzen, nur in Ausnahmefällen werden Ursachen genannt wie Trockenheit (Anatolien 1584), Heuschreckenbefall (~orum 1586) oder Mäuseplage (Tripolis 1595). Die osmanischen
Kernländer wurden zwischen 1500 und 1799 nach dem jüngsten und gründlichsten
Katalog von 377 Erdbeben heimgesucht, von denen Istanbul häufig betroffen war.
Besonders zerstörerisch wirkte sich der „Kleine Weltuntergang" aus, ein Beben,
welches am 10. September 1509 über 22 Stunden den Marmararaum erschütterte.
Auch das 19. Jahrhundert kannte heftige Beben. Das von 1894 zerstörte zahlreiche
Bauwerke in Istanbul und machte Pläne für eine große osmanische Nationalausstellung zunichte.
D. POLITISCHE GESCHICHTE IN GRUNDZÜGEN
1. VON BURSA ÜBER EDIRNE NACH ISTANBUL
Orhan
(1324/6-1362)
Die älteste bekannte osmanische Urkunde datiert von 1324 und wurde Osmäns
Sohn Orhan, dem „eigentlichen Gründer" (INALCIK) im Zusammenhang mit einer
Landschenkung für eine Derwischklause ausgestellt. Der marokkanische Weltreisende Ibn Battüta, der sich in den Jahren 1332/3 einen fast vollständigen
Überblick über die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnisse
Anatoliens verschaffen konnte, bezeichnete Osmäns Sohn „Orhan, den Sultan
von Bursa ", als den übrigen türkmenischen Emiren (Begs) überlegen hinsichtlich
Landbesitz, Heeresstärke und Reichtum. Bursa war erst 1326 durch Aushungern
in den Besitz des „osmanischen" Begliks gekommen. 1327 erfolgten die ersten
Münzprägungen auf Orhans Namen in der ersten Hauptstadt der Osmanen. In
den folgenden Jahren setzte sich Orhan vor allem mit seinen unmittelbaren
Nachbarn, Byzanz und dem nordwestanatolischen Fürstentum Karesi, mit militärischen und diplomatischen Mitteln auseinander. Um 1337 besaß er die Mehrzahl der byzantinischen Orte Bithyniens. Eine weitere Ausdehnung seines Gebiets
fand offensichtlich schon seit 1327 auf Kosten des Fürstentums Karesi statt, das
1345-6 vollständig samt seinen maritimen Möglichkeiten an die Osmanen kam.
Byzantinische
Innen- und osmanische Außenpolitik
Der durch den Tod von Andronikos III. ausgelöste Bürgerkrieg führte zwischen
1344 und 1346 zu einer Anzahl wechselnder Allianzen zwischen den westkleinasiatischen Begs und den byzantinischen Konfliktparteien. Im Solde von
Johannes VI. Kantakouzenos stehend, dessen Tochter Theodora ihm 1346 zur
Frau gegeben wurde, wuchs die Vertrautheit Orhans mit dem thrakischen Hinterland von Byzanz. 1351 bildete Genua mit den Osmanen eine Militärallianz
gegen Venedig, um die genuesische Kolonie von Galata zu schützen. Mit der
Überschreitung der Dardanellen (Eroberung von Tzympe durch Orhans Sohn
Süleymän) und der durch ein Erdbeben erleichterten Einnahme von Gallipoli/
Gelibolu (1354) hatten die Osmanen „auf eigene Rechnung" europäischen Boden
betreten. Während Orhan offensichtlich Tzympe gegen eine Geldzahlung des
Kaisers aufzugeben bereit war, ließ Süleymän beide Plätze wieder befestigen
und Gelibolu und andere Orte mit anatolischen
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