Der Osmanische Staat 1300-1922
richteten sich vor allem auf mehrheitlich muslimisch besiedelte Provinzen. Die
Ressourcen waren äußerst beschränkt. Etwa 30% des Budgets schöpfte die
Schuldenverwaltung ab, 40% flossen in den Militärhaushalt. Die Agrarexporte
litten unter niedrigen Weltmarktpreisen. Das Kapitulationswesen erlaubte geringe
wirtschaftspolitische Bewegungsfreiheit.
Das hamidische
System
Charakteristisch war die Doppelköpfigkeit des hamidischen Regimes. Der in
den Tanzimat-Jahrzehnten aufgebauten rational-bürokratischen Zentralverwaltung (Bäb-i Äli) stand das eher auf Patronage beruhende System des
Palastes gegenüber. Im Yildiz-Palast verfügte Gäzi Osmän Pascha (1832-1900)
als Hofmarschall und mehrfacher Kriegsminister über großen Einfluß. Die beiden
Sekretäre des Sultans kontrollierten die Schaltstelle der Macht zwischen Hof und
Palast. Polizei und Geheimdienst wurden parallel zueinander ausgebaut, wobei
letzterer de facto dem Sultan unterstand. Unter Abdülhamid II. war die Presse
geknebelt. Einzelne Zensurvorschriften waren von lächerlicher Absonderlichkeit.
Die als Herd oppositioneller Umtriebe bekannte Medizin-Schule wurde 1894 zur
besseren Überwachung mit der Anstalt für Militärmedizin zusammengelegt.
Opposition
Seit Mitte der 1880er Jahre hatte sich eine Oppositionsbewegung unter den
Medizinstudenten gebildet, aus der 1889 das „Komitee für Einheit und Fortschritt" (zunächst unter dem Name Ittihäd-z Osmani Cemiyeti = „Gesellschaft
für osmanische Einheit") hervorging. Bald nahmen die Studenten mit der Opposition im europäischen und ägyptischen Exil Verbindung auf. Eine Schlüsselrolle
spielte der nach Paris geflohene Ahmed Rizä (1858-1930). Im Gegensatz zu den
Istanbuler Vertretern der „Jungtürken", wie die Opposition im Ausland genannt
wurde, war er zu einer Zusammenarbeit mit christlichen, insbesondere armenischen Oppositionsgruppen stets bereit. Ein fehlgeschlagener „Staatsstreich"
von 1896 war von einem breiten Bündnis Unzufriedener in der Hauptstadt
vorbereitet worden. Es schloß Militär-und Polizeikommandanten, Ordensscheiche und Bürokraten ein. Ein Attentatsversuch (1905) scheiterte.
Die Pariser Jungtürken-Kongresse
Die Flucht Damad Mahmüd Celäleddin Paschas, eines Halbbruders des Sultans,
mit seinen beiden Söhnen Sabäheddin und Lutfulläh nach Europa (1899) stärkte
das politische Exil. Die Gründungsmitglieder des „Komitees für Einheit und
Fortschritt" waren ausnahmslos nicht-türkische Muslime (Albaner, Kurden).
Vor dem sogenannten „Ersten Jungtürken-Kongreß" (Paris 1902) konnte man
zwei große Richtungen unterscheiden: 1) eine pluralistisch-liberale „osmanische"
Gruppe und 2) eine etatistisch-nationalistische „türkische". Die zweite Gruppe
hatte von Anfang an stärkeren Zulauf. Ihr Führer Ahmed Rizä kämpfte für die
Wiedereinsetzung des Parlaments und die Respektierung der Verfassung. Der erste
Kongreß der osmanischen Opposition fand im Haus eines französischen Politikers statt. Er richtete sich gegen „feindselige" ausländische Intervention, ohne
„eine uns begünstigende" Einmischung der Mächte abzulehnen. Erst jetzt bildete
sich - verstärkt dann unter dem Eindruck des japanischen Siegs über Rußland
(1905) - die jungtürkische „Ideologie" mit einem durchaus rassistisch unterbauten
Nationalismus heraus. Die in Publikationen eingesetzte „islamische" Sprache
konnte den positivistischen Hintergrund ihrer Wortführer nur mühsam verbergen. „Prens" Sabäheddin löste sich von dem nationalisten Flügel und gründete 1906 seine „Gesellschaft für Privatinitiative und Dezentralision".
Armenischer
Widerstand
Armenische Aktivitäten im Osten des Landes nahmen v.a. ab 1892 zu. Daran
änderten auch die ein Jahr zuvor in den gemischt kurdisch-armenischen Landesteilen gegründeten sogenannten Hamidiye nichts. Armenische Aufstände
erreichten zwischen 1893 und 1895 ihre Höhepunkte, während das vorausgehende Jahrzehnt verhältnismäßig ereignisarm geblieben war. Die Massaker,
die an den Armeniern u. a. in Bitlis, Erzurum und Zeytun („Sasoon") verübt
wurden, erregten die europäische Öffentlichkeit. Nach der Besetzung der Osmanischen Bank in Istanbul durch armenische Revolutionäre (26.8. 1896) schrieb
Kaiser Wilhelm an den Rand eines Telegramms: „Der Sultan muß abgesetzt
werden!" Oppositionelle Armenier forderten die Jungtürken im Exil zum Bündnis auf. Diese Allianz hatte nur wenige Jahre
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