Der Osmanische Staat 1300-1922
(1902-1907) Bestand. Die Radikalisierung der armenischen Parteien war auch das Ergebnis ihrer Analyse der mit
russischer Hilfe erfolgreichen bulgarischen Unabhängigkeitsbewegung.
Die mazedonische
Frage
Die Bildung des Königreich Bulgariens und dessen spätere Vereinigung mit dem
Fürstentum Ost-Rumelien war ohne Einbeziehung der eine Variante des Bulgarischen sprechenden „Mazedonier" erfolgt. Die Jahre nach dem Berliner Kongreß waren von heftigen Auseinandersetzungen zwischen osmanischen Sicherheitskräften und Mitgliedern der mazedonischen revolutionären Organisationen bestimmt. I)er Aufstand am St. Elias-Tag 1903 (Rinden Den) bildete
den Höhepunkt der separatistischen Bewegungen. Im Abkommen von Mürzsteg
wurde eine internationale Gendarmerie-Organisation für die von Aufständen
erschütterte Region vereinbart.
Palästina
Um 1880 lebten ca. 24 000 Juden in Palästina. Istanbul hatte schon 1881
Maßnahmen gegen Einwanderung und Landerwerb erlassen. Die insgesamt
restriktive Einwanderungspolitik der hamidischen Zeit wurde von den Jungtürken fortgesetzt. 1882 kam es zur Gründung der ersten Agrarkolonie. 1897
forderte Theodor Herzl am Baseler Zionisten-Kongreß eine „öffentlich
rechtlich gesicherte Heimstätte" in der osmanischen Provinz. Die ersten Einwanderungsbewegungen brachten ca. 100000 Menschen nach Palästina, von
denen ungefähr die Hälfte das Land wieder verließ. Viele osmanische Juden wie
Halm Nahuni, der Hahamba~i („Oberrabinner") von Istanbul, waren der Zionistenbewegung gegenüber feindlich eingestellt.
6. VON DER JUNGTÜRKISCHEN REVOLUTION ZUM VERTRAG VON SEVRES
(1908-1920)
1908
Das Bündnis zwischen der jungtürkischen Opposition und Offizieren europäischer Truppenteile verstärkte sich nicht zuletzt unter dem Eindruck der
britisch-russischen Verständigung über ihre Grenzen in Asien (Petersburger
Vertrag von 1907). Das „Komitee für Einheit und Fortschritt" (Ittihäd ve Terraki Cemiyeti) zwang 1908 mit Hilfe der Armee den Sultan, die Verfassung wieder
einzusetzen. Es war aber nicht in der Lage, außerhalb der balkanischen Landesteile
einen größeren Rückhalt zu gewinnen. Das jungtürkische Jahrzehnt (1908-1918)
begann mit zahllosen Demonstrationen für das angestrebten Zusammenleben der
osmanischen „Nationen" (millet), insbesondere zwischen Armeniern und türkischen Muslimen. In den arabischen Provinzen fiel die Begeisterung für das
neue System eher lauwarm aus. Die Parlamentswahlen machten zwar die „Partei
für Einheit und Fortschritt" (Ittihäd ve Terakki Firkast) zur größten Gruppe, doch
waren viele Deputierte der ITF-Liste Opportunisten, die nach Herkunft, Bildung
und Weltsicht wenig mit der eigentlichen Organisation gemeinsam hatten. Die
Ittihäd ve Terraki Cemiyeti unterhielt ein eigenes Netzwerk von örtlichen
Organisationen und wurde von einem Leitungsgremium in Saloniki aus gesteuert. Die ITC hatte also keinen starken Mann an der Spitze, obwohl die
„Freiheitshelden" Niyäzi und Enver in der Propaganda eine bedeutende Rolle
spielten. In Saloniki fanden auch die allgemeinen jährlichen Kongresse zwischen
1908 und 1911 statt. Nur drei Mitglieder der Parlamentspartei hatten zu diesen
vertraulichen Verhandlungen Zutritt.
Das „Ereignis vom
31. März"
Bis 1913 nahmen mit Ausnahme des Finanzministers Cävid und des Innenministers Talats keine Komitee-Mitglieder Kabinettsposten an. Das Großwesirat
wurde von bejahrten Staatsmännern (Sa'id Pascha, Kämil Pascha) des Ancien
Regime verwaltet. Es ist bis heute umstritten, wer die Meuterei in Teilen der
1. Armee im Frühjahr 1909 ausgelöst hat. Jedenfalls gab es unter den aus dem
Soldatenstand hervorgegangenen Offizieren viele Gegner der neuen Verhältnisse,
unter denen das Offizierspatent vom Besuch der Kriegsschule abhängig gemacht
werden sollte. Hinzu kamen religiös und ethnisch motivierte Oppositionsgruppen
(Medreseschüler, Albaner). Der Aufstand wurde durch die aus Saloniki und
Edirne herbeigeeilte „Interventionsarmee" (Hareket Ordusu) in wenigen Tagen
niedergeschlagen. Da weder Abdülhamid II. noch die parlamentarische Opposition deutlich auf Distanz zu den Aufständischen gegangen waren, konnte das
siegreiche Komitee die Verbannung des Sultans nach Saloniki wagen und gegen die
anderen Parteien vorgehen. Sein Nachfolger Mehmed V. Reeäd (1909-1918) sollte
keine politische Rolle mehr spielen. Der Kommandant des Interventionsarmee,
Mahmüd $evket Pascha,
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