Der Osmanische Staat 1300-1922
begründeten FRIEDRICH
VON KRAELITZ-GREIFENHORST (1876-1932) und PAUL WITTEK (1894-1978),
denen sich 1923 FRIEDRICH GIESE (1870-1944) anschloß, die erste Fachzeitschrift außerhalb der Türkei. Den „Mitteilungen zur osmanischen Geschichte"
war zwar nur ein kurzes Leben beschieden (2 Bände zwischen 1922 und 1926), sie
signalisierten aber die Emanzipation von einer von semitistischen und arabistischen Themen beherrschten akademischen Tradition. Alle drei Herausgeber
waren an der Erforschung der ersten osmanischen Jahrhunderte interessiert.
KRAELITZ-GREIFENHORST war erster Inhaber einer ordentlichen Professur für
„Sprache, Literatur und Geschichte der türkisch-tatarischen Völker" an der
Universität Wien.
An einigen wenigen südosteuropäischen (Belgrad, Iali) und russischen Universitäten und Akademien sowie in Wien und München (FRANZ BABINGER ab
1948) erfolgte zwischen den dreißiger und fünfziger Jahren eine institutionelle
Verfestigung des Faches. An den Forschungsinstituten Frankreichs und
Deutschlands in Istanbul, Damaskus, Beirut und Kairo werden seit ein bis zwei
Generationen verschiedene Sparten der Osmanistik im Kontakt mit der einheimischen Forschung betrieben. In jüngster Zeit sind nicht zuletzt durch von
der türkischen Regierung an britischen und amerikanischen Hochschulen eingerichtete Stiftungsprofessuren (Cambridge/England, Harvard, Princeton, Chicago) neue Standorte des Faches entstanden. Das ändert nichts an der Tatsache, daß
die Mehrheit der Osmanisten in Europa in Lehre und Forschung auch mit
islamwissenschaftlichen, turkologischen oder zeitgeschichtlichen Themen befaßt ist, während die meisten amerikanischen Osmanisten an historischen Departments tätig sind.
Osmanistik als historische Disziplin
Osmanistik im engeren Sinne ist eine historische Disziplin, deren Gegenstand
durch die Ausbreitung des osmanischen Staates in Zeit und Raum bestimmt ist. Sie
befindet sich im Austausch mit der abendländischen Mediävistik, der neueren und neuesten Geschichte, der Byzantinistik und der Geschichte Südost- und Osteuropas. Gleichen Rang wie diese Fächer haben die orientalistischen Nachbarwissenschaften, insbesondere die Arabistik, Iranistik und Zentralasienkunde
sowie die allgemeine Islamwissenschaft. Ohne das Material in anderen Sprachen
zu vernachlässigen, stehen osmanischsprachige Schriftquellen im Mittelpunkt der
Forschung. Das moderne Türkische ist die wichtigste Arbeitssprache. Die osmanistische Forschungsliteratur ist darüber hinaus in zahlreichen Sprachen vor
allem der Nachfolge- und Nachbarländer des osmanischen Staates abgefaßt (u. a.
in Albanisch, allen südslawischen Sprachen, Ungarisch, Georgisch, Armenisch,
Arabisch).
Zur Forschungsgeschichte des Gesamtfaches fehlt ein Überblickswerk. Dagegen existieren einige ältere und länderbezogene Darstellungen und Bibliographien
[6: BABINGER; 9: TIETZE; 10: REED zur Entstehung des Faches in den Vereinigten
Staaten]. Biobibliographische Skizzen zu russischen und sowjetischen Osmanisten finden sich in einer Reihe der Turkologie gewidmeten Nachschlagewerken von KoNONOV. Darüber hinaus hat man sich an die Literatur zu
einzelnen Forschern in Form von Festschriften, Nachrufen u.ä. zu halten (vgl.
im Abschnitt Forschungsbetrieb" die Angaben zum Turkologischen Anzeiger"). Die Zeitschrift „Turcica. Revue d`1:tudes Turques" hat zahlreiche Bibliographien über die Forschung in einzelnen Ländern gedruckt (für
Deutschland zuletzt 1994). Gegenwärtig ist die Buchreihe „The Ottoman Empire and its Heritage. Politics, Society, Economy" (Leiden: Brill 1994-) mit fast
20 Titeln der wichtigste Publikationsort von Monographien in nichttürkischer
Sprache.
2. DIE NEUERE FORSCHUNG IN DER TÜRKEI
Der Beschluß der gelehrten Gesellschaft Encümen-i Dänii, AHMED CEVDET mit
der Abfassung einer allgemeinverständlichen Geschichte im Anschluß an HAMMERS „GOR" zu beauftragen, ging dessen Ernennung zum Reichshistoriographen
(1855) voraus. Das Cevdetsche Geschichtswerk bildet die Klammer zwischen der
traditionellen und modernen Geschichtsdarstellung in der Türkei. Das Gründungsdatum der „Gesellschaft für die Erforschung der osmanischen Geschichte" (Tärih-i Osmäni Tetkik Encümeni/TOTE) im Jahre 1910 ist ein weiterer einschneidender Terminus für die planmäßige wissenschaftliche Erschließung der osmanischen Quellen. In der Person ihres Präsidenten und
letzten Reichshistoriographen ABDURRAHMÄN SEREF
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