Der Osmanische Staat 1300-1922
Untersuchungszeitraum (ca. 1540-1700) eine Revision
der bis in die Gegenwart [675: McGowan] verfochtenen These von der „demographischen Katastrophe" in den Balkanländern während des 17. Jahrhunderts, sondern demonstriert erneut den Quellenwert der Register für vorosmanische Verhältnisse. Selbst ein Streifen der arabischen Golfküste zwischen
al-Ahsa und Bahrein ist durch einen Kataster aus dem Jahr 1551 bekannt ge worden. Die Verbindung der Daten zu Bevölkerungszahlen, agrarischen und
sonstigen Abgaben und zur Verwaltungseinteilung mit der kartographischen
Rekonstruktion der Kulturlandschaft im 15./16. Jahrhundert hat den Wert und
die Grenzen der tahrir defterleri sichtbar gemacht. Den bedeutendsten Anteil an
dieser Forschungsrichtung haben N. GÖYÜN(;, M. C. VARLIK, M. A. UNAL und W.
1). HÜTTEROTH mit ihren Schülern [578]. Der zuletzt genannte hat als Geograph,
in der Konya-Ebene, in Palästina und am Mittleren Euphrat (zusammen mit
GÖYÜNC,), Zensusmaterial in enger Verbindung mit historischer Siedlungsforschung genutzt [69; 150].
Kritik und Methode
Die defters können in der nach-Barkanschen Forschung nicht mehr als unmittelbar verwendbare Zahlenquellen benutzt werden [75: FAROQHI]. Ebenso
wurde auf die sensible, unschematische Handhabung der Konskription durch
die zentrale Bürokratie aufmerksam gemacht. Gegen alle berechtigten Einwände
hat W. HÜTTEROTH hervorgehoben, warum die defter weiterhin höchste Beachtung verdienen. „Es gibt keine anderen quantitativen Quellen für diese Zeit,
und es gibt für viele Jahrhunderte danach auch keine Quellen vergleichbarer
Detaillierung. Wir müssen uns mit diesen Quellen auseinandersetzen, oder wir
müssen ganze Jahrhunderte aus der Wirtschaftsgeschichte streichen" (in: Osmanli
Ara§tlrmalarl 14, 1996, 16). Welche Schwierigkeiten die Interpretation von defters
aus den Jahrhunderten nach der Aufgabe des klassischen temar-Systems bereiten,
kann man anhand einer von MURPHY bearbeiteten Denkschrift aus dem Jahr 1636
ermessen. Sie enthält eine Aufstellung sultanischer Einkünfte anatolischer und
syrischer Provinzen [175].
Die Auswertung von tahrir defterleri mit Hilfe des Personalcomputers erleichtert die Feststellung von Siedlungsmustern und Bevölkerungszahlen in
diesem Zeitraum [152: P. K. D00RN]. Trotz der Schwierigkeiten, die die arabische Schrift bei der Wiedergabe von Ortsnamen aufwirft, wurden Fortschritte
bei der historischen Toponomastik erzielt [z. B. für Ostanatolien 154: BAYKARA].
Kopfsteuerregister
Die Kopfsteuer für Nichtmuslime (zimmis) wurde bis ins 16. Jahrhundert
hinein als bara( bezeichnet. Ihre Erhebung führte häufig, wie etwa in Ungarn,
vorosmanische Praktiken fort [155: NEDKOV u. HADZIBEGI I. Die Aussagekraft
der cizye defterleri ist für Verwaltungseinheiten, in denen überwiegend Nichtmuslime lebten, besonders eindrucksvoll [156: MAIUZ]. Über den ansonsten
begrenzten bevölkerungsstatistischen Wert dieser Kopfsteuerregister informieren einige neuere Arbeiten [525: GROZDANOVA; 157: DARLING; 679: KARYDIS U. KIEL].
Mähimme defterleri
Nachdem AHMED REFiK [ALTINAY] mit seinen viel gelesenen Auszügen u. a.
zum Istanbuler Alltag die mühimme defterlerz fast populär gemacht hat, erscheinen in dichter Folge Arbeiten, die auf dieser seit 1552 bzw. 1554/5 bekannten Quellengruppe beruhen. Die Einträge dieser defters bestehen zum
größten Teil aus Kopien oder auch Entwürfen von Befehlsschreiben an Kadis
und sancakbegs [160: TEMELKURAN; 161: ELEZOVIC; 162: KovACEVIC]. U. HEYD vertrat in seiner auf mühimme defters gegründeten Arbeit über Palästina (15521612) die Auffassung, es handele sich um Kopialbücher, also um eine Art Regesten
ausgehender Urkunden [163]. W. S. PEACHY unterscheidet in seiner Studie von 4
mühimme defters von 1000-1003 H. datierte und undatierte Befehlsschreiben
[164]. Der Wert der mühimmes für die russische Geschichte im 16. Jahrhundert
wurde von CH. LEMERCIER-QUELQUEJAY herausgestellt [165]. Eine Untergruppe
bilden die „Beschwerdeerledigungsregister" (jikäyet defterleri), deren Entstehung
und Funktion H. G. MAIER in der Einleitung zu einem „Registerbuch der
Beschwerden" von 1675 in spannender Weise schildert [166]. Die in Faksimile
vorgelegten ca. 2800 Einträge können den Ausgangspunkt für eine Alltagsgeschichte des 17. Jahrhunderts bilden. Ähnliches leisten die von einer Forschungsgruppe der Stadt Istanbul [167] herausgegebenen Auszüge aus einer
weiteren
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