Der Osmanische Staat 1300-1922
[216: ANDERSON]. Die Aktensammlungen zur Geschichte der internationalen Beziehungen nach der Gründung des Deutschen Reiches, insbesondere „Die Große Politik der Europäischen Kabinette", die „British Documents" und die „Documents diplomatiques fran~ais", sowie die russischen
„Mezdunarodnye Otnosenija" enthalten jeweils mehrere überwiegend türkischen
Themen gewidmeten Bände. Russische und deutsche Konsularberichte gehören
zu den ungehobenen Schätzen [für Deutschland 218: D. QUATAERT]. P. DUMONT
hat verschiedene Archive von nichtstaatlichen Organisationen auf Osmanica
durchkämmt [z. B. 219]. Persönliche Quellen von europäischen Staatsmännern,
Diplomaten und Militärs, von denen einige von großer Wichtigkeit sind (H. v. MOLTKE, JOSEPH POMIANKOWSKI), warten noch auf eine osmanistische Kommentierung.
Über die europäischen „Türkendrucke" gibt eine umfangreiche Bibliographie
Auskunft [220: GÖLLNER]. Frühe Berichte europäischer Reisender sind inzwischen bibliographisch und nach ihren Itinerarien geordnet [221: YIRASIMOS].
Kritische und kommentierte Ausgaben sowie gute Übersetzungen fehlen jedoch
zum großen Teil [für eine Ausnahme vgl. 222: KONSTANTIN VON OSTROVICA].
Während sich die Aufzeichnungen Reisender des 15. und 16. Jahrhunderts für die
„Alltagsgeschichte" der Osmanen als recht ergiebig erwiesen haben (z. B. HANS
DERNSCHWAM, S. SCHWEIGGER), wird der Quellenwert späterer Reiseberichte -
mit wichtigen Ausnahmen - stark überschätzt.
C. DIE GROSSEN THEMEN DER FORSCHUNG
1) POLITISCHE/ALLGEMEINE GESCHICHTE
a) Gesamtdarstellungen
Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der osmanischen Geschichte setzt
Sprachkenntnisse und den Zugang zu Primärquellen voraus. Wegen den Besonderheiten der osmanischen Literatursprache und der schweren Lesbarkeit bestimmter Kanzleischriften ist es bis heute bei einer Zweiteilung der Forschungsliteratur geblieben. Eine Richtung bearbeitet das primäre osmanische
Material, eine zweite konzentriert sich auf Zeugnisse in nichtosmanischen Sprachen, ohne die jüngere türkischsprachige Forschungsliteratur zu vernachlässigen
(z. B.: 223: WERNER). Beide Richtungen bewegen sich jedoch aufgrund wachsender Erschließung osmanischer Quellen in türkischer Lateinschrift aufeinander zu. Durch das Wirken türkischer Historiker an europäischen und
amerikanischen Hochschulen, aber auch aufgrund zahlreicher Gemeinschaftswerke (vgl. die Osmanenkapitel der New Cambridge Modern History,
1957-1970, getrennt erschienen u. d. T. „A History of the Ottoman Empire to
1730", 1976) kann nicht mehr von einer zwischen „West" und „Ost" aufgeteilten
Forschungslandschaft gesprochen werden.
Die drei großen „GORs"
Hammer, Zinkeisen,
lorga
JOSEPH VON HAMMERS (1774-1856, seit 1835 Freiherr von Hammer-Purgstall)
„Geschichte des osmanischen Reiches" (GOR) [225] ist bis heute die monumentalste Gesamtdarstellung eines einzelnen Verfassers geblieben. Der
„ruhmgekrönte geistige Eroberer des Morgenlandes" (FALLMERAYER) führte
sein Werk bis zum Frieden von Kü~ük Kaynarca 1774 (HAMMERS Geburtsjahr!).
Seine Darstellung zeichnet sich durch eine gleichmäßige Berücksichtigung der
Epochen aus, auch wenn ihm das Reich im „Greisenalter" zu stehen schien. Der als
junger Historiker von JOHANNES VON MÜLLER gelenkte HAMMER entwickelte
einen von LEOPOLD VON RANKE beeinflußten Begriff von historischer Objektivität („ohne Vorliebe und Widerwillen") [226: KREISER]. Der durchaus nicht
uniforme Charakter der osmanischen Chronistik verbietet es, HAMMERS Geschichte des osmanischen Reiches als eine riesige Paraphrase höfisch-devoter
Annalistik zu sehen. Die in den Bänden 9-10 enthaltenen Arbeitsinstrumente
sind zum großen Teil noch heute von Nutzen.
Eine unentbehrliche Ergänzung iSt JOHANN WILHELM ZINKEISENS „Geschichte
des osmanischen Reiches in Europa", die seit 1840 im Rahmen von Heeren und
Ukerts „Staatengeschichte" herauskam [227]. RANKES Lehre vom Primat der Außenpolitik nahestehend, stützte sich ihr Verfasser vor allem auf französische
und preußische sowie damals in Wien verfügbare venezianische Archivalien (die
Ausgaben von CHARRIERE und ALBERZ waren zu HAMMERS Zeiten noch nicht
erschienen). ZINKEISEN konnte noch die „Zeit der Reformen und der Rivalität der
Großmächte im Diwan" bis zum Frieden von Bukarest (1812) behandeln. Die
letzte große Überblicksdarstellung vor dem Zusammenbruch des osmanischen
Staates stammt
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