Der Osmanische Staat 1300-1922
von dem rumänischen Historiker NICOLAE IORGA (1871-1940)
[227]. In sein Unternehmen sind wichtige Ergebnisse der Geschichtswissenschaft
im Zeitalter des Nationalismus eingegangen. IORGA sah sich im übrigen beim
„Fehlen einer türkischen Nationalliteratur" (sic) nicht verpflichtet, die geistige
Entwicklung der Türken so zu beschreiben, wie es den christlichen Völkern
Südosteuropas zukomme.
Durch seine immense Arbeit der Quellenerschließung hat HAMMER für ZINK-
EISEN, IORGA und andere den Vorwand geliefert, Texte in den islamischen
Hauptsprachen zu vernachlässigen. Der HAMMER wiederholt zum Vorwurf gemachte „kompilatorische Charakter" seines Werkes hat es späteren Autoren
ermöglicht, seine Bände als „Steinbruch" auszuwerten. Ein englischer Historiker, E. Sh. CREASY, benutzte in diesem Sinne seine GOR als „largest store of
material" („History of the Ottoman Turks", London 1878). Daß HAMMER auch
zahllose abendländische und byzantinische Quellen in den Dienst der osmanischen Geschichte stellte, wird häufig vergessen. Über die französische Übersetzung wurde die GOR (Paris 1835-1843) europäischer und türkischer Gemeinbesitz. Zu weit geht die bei F. BRAUDEL zu lesende Anschuldigung, HAMMER habe seine Dokumente „verstümmelt". Trotz vieler Leseirrtümer und
fehlerhafter Obersetzungen HAMMERS bleibt seine GOR (im Gegensatz zu
seinen literaturgeschichtlichen Beiträgen) im Ganzen eine brauchbare Arbeitsgrundlage.
Durch Übersetzungen ins Französische, Italienische und Türkische hält HAMMERS Einfluß an. Die einflußreiche „Geschichte des Osmanischen Staates" (Tärihi Devlet-i Osmäniye) des HAYRULL.H Efendi (1854-55) ist ohne sein Vorbild nicht
denkbar. Nach dem Sturz Abdülhamid II. erschien eine (nicht zu Ende geführte)
Übersetzung aufgrund der französischen Ausgabe. Der Bearbeiter MEHMED ATÄ
rühmte die unparteiische Haltung HAMMERS, auch wenn er manche bitteren
Werturteile ausgesprochen habe. Auch die einflußreiche Tärih-i Ebu'l-Färük (d.
i. MEHMED MURÄD), die zwischen 1906-1916 in sieben Bänden herauskam, folgt
HAMMER über weite Strecken [zum Autor 191: HERZOG].
Gesamtdarstellungen der » Geschichte des Osmanischen Reiches" (GOR)
Gesamtdarstellungen in türkischer Sprache
Schrei nflußreich war NECia ÄsIM [YAZIKSIZ] (1861-1935) mit seiner Übersetzung
von Leon CAHUN5 „Introduction ä l'Asie. Turcs et Mongols des origines ä 1405"
(Paris 1896 bzw. Istanbul 1898/99-1900/1901). NECIB ÄSIM, ein ehemaliger
Offizier, der sich autodidaktisch gebildet hatte, war der erste Inhaber einer
Professur für Geschichte der türkischen Sprache am Istanbuler Därülfünün.
1909 verfaßte er zusammen mit MEHMED ÄRIF eine „Allgemeine türkische
Geschichte" (TÜRK TÄR1H-I UMÜMI), deren erster Teil (48 S.) den Titel „Nichtosmanische Türken" (Osmänklardan ba;ka Türkler) trug. Der mit 80 S. etwas
längere zweite Teil war den Osmanen eingeräumt. Mit der Herausnähme der
osmanisch-türkischen Epoche aus der islamischen Universalgeschichte hatten
die Autoren die republikanische Historiographie antizipiert.
Uzun4ar5di und
Karal
Erst die Nachfolgerin der osmanischen Geschichtsgesellschaft gab eine umfangreiche osmanische Geschichte im Rahmen einer vielbändigen Weltgeschichte
in Auftrag [229]. Der Anteil von ISMAIL HAKKI UzuNCAR~ILI (1888-1977) umfaßt
dabei in sechs Teilen ca. 4 000 Seiten, die bis zum Jahr 1789 reichen. UzUNC,AR~I I.I hat
unter fast vollständigem Absehen von westlichen Quellen und Forschungsmeinungen ganz die Perspektive seiner osmanischen Quellen, insbesondere der Chronistik, aber auch von Archivalien eingenommen. Die wesentlich
schmaleren Nachfolgebände von ENVER ZJYA KARAL reichen bis zum Ende des
Weltkriegs. I)ie große „Geschichte der türkischen Revolution" von YUSUF HIKMET
BAYUR [239] überlappt sich ab dem Jahr 1878 mit KARALS Werk.
Ausgaben für
breitere Leserschichten
Unter dem Titel „Geschichte der Türkei" erscheint seit 1990 unter der Herausgeberschaft von ALI SEVIM und YA~AR YÜCEL ein neues Werk, dessen drei
Osmanenbände (von den Anfängen bis 1861) eine breitere Leserschaft erreichen
sollen [231]. Im selben Jahr begann das gleichnamige von SINA AK~IN betreute
Unternehmen [232]. Beide Serien folgen Varianten einer „offiziellen" Geschichtsschreibung. Die erstere ist der ab Mitte der 1970er Jahre propagierten
türkisch-islamischen Schule verpflichtet, die zweite der
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