Der Osmanische Staat 1300-1922
geänderten Wohnverhältnisse. Nur in 0,77% aller Fälle ist er auf Abwendung
vom Islam (irtidäd) nach einer vollzogenen Konversion gestoßen.
Byzanz
Gegen H. A. GIBBONS [247], der im Osmanenstaat den Erben byzantinischer
Institutionen erkannte, wandten sich MEHMED Fu'ÄD KöPRÜLÜ [250] und -
indirekt durch Beschreibung der Strukturen anderer muslimischer Staaten - I.
H. UzuNCAR~ILA [251]. Der Mediävist E. WERNER [223] befaßte sich schon früher
mit den inneren und äußeren Faktoren, die dazu geführt haben, daß das osmanische Beylik erfolgreicher war als seine Konkurrenten.
Gazä und Cihäd
P. WITTEKS [252] romantische These vom Entstehen des Imperiums aus dem
Geist der an den Grenzen kämpfenden Gäzis wurde erst in den letzten Jahren von
Autoren wie C. HEYWOOD, C. IMBER und R. JENNINGS zurückgewiesen. Der
Anthropologe R. LINDNER [516] hat den Anteil der Nomaden als eines religiös
weniger gebundenen Elements am Grenzkämpfertum gegen Byzanz hervorgehoben. Die „ungenaue Genealogie" der frühen Osmanen sei geradezu ein Beleg für ihre tribale Struktur. H. INALCIK will die Nomaden- mit der Gäzi-These
versöhnen. Eine Diskussion dieser Forschungsmeinungen findet sich bei KAFADAR
[2541, der zugleich eine eigene vermittelnde Position anbietet. Er lehnt die
„oghusische" These des Altmeisters KÖPRÜLÜ ebenso ab wie die exklusive Verbindung von Osmanentum und Gäzi-Ideologie, auf die sich schließlich auch
andere Kleinfürsten berufen konnten. Die Hauptfrage nach dem osmanischen
„Erfolg" dürfe nicht pauschal, sondern nur im Zusammenhang mit bestimmten
Schlüsseldaten (1300, 1330, 1360, 1410) diskutiert werden. KAFADAR hebt die
strategisch glückliche Verbindung von Allianzen und Konfrontationen hervor
und die Fähigkeit, sich für Einflüsse offen zu halten. Dieser „inclusivism" unterscheide die Osmanen in glücklicher Weise von den Karamaniden. Bei einem
1991 dem osmanischen Beylik gewidmeten Symposium auf Kreta [255: ZACHARIADOU (Hg.)] wurden sehr gegensätzliche Auffassungen vorgetragen. Man
vergleiche H. INALCIKS Verteidigung der altosmanischen Chronistik - „It is...
misleading to dismiss altogether as pure myth and legend the early Ottoman
traditions because of these later elaborates" - mit C. IMBERS strengem Agnostizimsus: „The best thing that a modern historian can do is to admit frankly that
the earliest history of the Ottomans is a black hole. An attempt to fill this hole will
result simply in the creation of more fables."
c) Legitimation der Dynastie und Kalifatsfrage
Auf die doppelte - sowohl dynastische als auch religiöse - Legitimation der
osmanischen Herrscher hat u. a. C. IMBER [257] hingewiesen. Für die ersten
osmanischen Krieger (akinci) habe es keinen Unterschied zwischen Raubzügen
und „Heiligem Krieg" gegeben. Eine Darstellung der osmanischen „Realpolitik"
könnte von Beobachtungen H. J. KISSLINGS ausgehen [2851. Erst im späten
15. Jahrhundert bemühte sich die dynastische Ideologie um eine Versöhnung
mit den Prinzipen der Scheriat. Die auf D`OHSSON [4: BEYDU.LI] zurückgehende Behauptung von der Übertragung der Kalifatswürde von dem abbasidischen „Schattenkalifen" al-Mutawakkil auf den osmanischen Herrscher
Selim I. im Jahr 1517 ist wegen fehlender Beweise aus zeit- und sachnahen
Quellen obsolet. Das Kalifat war in den ersten Jahren und wiederum im letzten
Jahrzehnt der Regierung von Abdülhamid II. nicht unumstritten. Der Sultan
begründete seinen Anspruch mit göttlicher Vorsehung, ererbten Rechten und
tatsächlicher Macht, während in arabischen Oppositionszirkeln das Konzept
einer Art spirituellen Form des Kalifats propagiert wurde [mit der relevanten
Forschungsliteratur: 763: T. BUZPINAR]. S. DERINCIL stellt das Legitimitätsthema
in den Zusammenhang mit dem Panislamismus und anderen Pan-Bewegungen des
19. Jahrhunderts [3221.
d) Zentrale Institutionen
Das Werk von GIBB u. BOWEN [289] mit seinem doppelt irreführendem Titel (es
berichtet nur sehr eingeschränkt über die islamische „Gesellschaft" und behandelt
kaum den Einfluß der „westlichen Zivilisation") gehört zu den immer noch zu
konsultierenden Darstellungen der osmanischen Institutionen. Allerdings
scheiterte der Plan der Autoren, das 18. Jahrhundert in den Mittelpunkt zu rükken, an mangelnden Vorarbeiten. So stehen die Einrichtungen des „Golden Age"
(das 15.-16. Jahrhundert) überall im Vordergrund. Materialreiche Monographien
wie die von
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