Der Osmanische Staat 1300-1922
[zusammengefaßt in der Einleitung von 441: OzcAN], auch wenn sie ungeachtet des
gemeinsamen kulturellen Hintergrunds und mancher Interessengemeinschaften, in erster Linie gegen das safawidische Persien, nie sehr eng waren. Sie sind aber
gerade wegen der komplizierten Ansprüche auf Gleichrangigkeit besonders
lehrreich. Erst im 18. Jahrhundert, am Ende des indischen Imperiums, gelang es
beiden Partnern, sich jeweils als „Kalifen" innerhalb ihrer Sphäre zu respektieren
[442: FAROOQI]. OZCAN hat als erster in größerem Umfang türkisches Quellenmaterial für die Jahrzehnte des „Pan-Islamismus" herangezogen. Sein Buch
macht deutlich, wie stark die indischen Muslime am Schicksal des Kalifats v.a. nach
dem verlorenen Krieg von 1877/78 Anteil nahmen. Zugleich zeigt es aber, wie
wenig die moralische und finanzielle Solidarität (vgl. Bagdadbahn) ihrer indischen
Untertanen mit den Osmanen die britische Regierung beeindruckte.
Asien
Japan tritt seit der Meiji-Reformperiode in den osmanischen Gesichtskreis. Die
beiden Länder wurden Gegenstand mehrerer vergleichender Studien, die sich die
Frage nach der früheren und intensiveren „Modernisierung" Japans im Vergleich
zur Türkei stellen [405: KREISER]. Zwei im selben Jahr erschienene Werke behandeln die Beziehungen des Chanats der Krim-Tataren zu Moskau, Polen und
den Kosaken [407: FISHER] bzw. den Nachbar-Chanaten Astrachan und Kazan
[408: BENNIGSEN u.a] überwiegend auf der Grundlage Istanbuler Dokumente.
Eine sorgfältige Nachbearbeitung des Materials hat V. OSTAPCHUK [409] vorgenommen. Er informiert auch über die archivalische Hinterlassenschaft des
Chanats nach dem Brand, der 1736 die Kanzlei in der Residenzstadt Bah~esaray
zerstörte. Ein etwas flüchtig entstandenes Buch behandelt das - bis 1873 nicht
allzu intensive - Interesse Istanbuls an den zentralasiatischen Chanaten (Chiwa,
Chokand, Buchara, Kaschgar) nach osmanischen und britischen Quellen [411:
SARAYI. Ein Höhepunkt dieses vorübergehenden Einflusses bildete die Unterstellung des Chanats von Kaschgar unter osmanische Souveränität (1874/5) -
nach der Lieferung von Krupp-Geschützen und Ausbildern.
J) Das 19. Jahrhundert: Selim III., Mahmüd II., Tanzimät-Zeit
Das 19. Jahrhundert
als Epoche
Einige wichtige Geschichtswerke fassen das 19. mit dem 20. Jahrhundert als
geschlossene Epoche zusammen, um den Reformismus Atatürks in einem größeren Kontext zu erklären. Weiteste Verbreitung hat B. LEWIS' „Emergence of
Modern Turkev" [443] gefunden. Es bleibt v.a. in seinen ideengeschichtlichen
Teilen eine anregende, nicht selten amüsante Lektüre. Auch das mehrfach aufgelegte Buch von ORTAYLI [444] ist trotz seiner assoziativen Darstellungsform ein
wichtiger, zwischen den polarisierenden Positionen der modernen türkischen
Historiographie vermittelnder Beitrag. Seine Quellen- und Literaturbelege beziehen sich häufig auch auf außerosmanische Kapitel der europäischen Geschichte. Etwa den gleichen Zeitraum umfaßt E. ZÜRCHER aus Vorlesungen
hervorgegangenes Buch [445]. Hier liegt der Akzent eindeutig auf der politischen Geschichte. Eine vorausgehende Monographie des Autors hatte erklärt,
warum er die Epochengrenzen der „Jungtürkischen Periode" zwischen 1908 und 1950 setzt. Eine Einführung in alle denkbaren politischen, sozialen, wirtschaftlichen Aspekte des 19. Jahrhundert, bis zur Ausrufung der Republik bietet
die reich illustrierte, von M. BELLE herausgegebene „Enzyklopädie der Türkei von
den Tanzimät zur Republik" [446]. Die „Geschichte des Machtverfalls der Türkei"
von CARL RITTER VON SAx hat seinen Rang als Hauptwerk zu allen großen innenund außenpolitischen Themen bis 1913 lange behalten [447]. Für den gesamten
Zeitraum läßt sich ihm nur der 2. Band von St.und E. K. SHAws „History of the
Ottoman Empire" zur Seite stellen [236]. Hier wird in „revisionistischer" und
zugleich materialreicher Weise die Periode Abdülhamid II. als „Kulmination" der
Tanzimät-Reformen vorgeführt.
Selim III.
Tanzimät
SHAW konzentriert sich in seinem Buch über Selim III. (1789-1807) auf die
Behandlung der treibenden Kräfte, die mit dem Sultan die Überzeugung teilten,
daß das, was den Westen stark gemacht hat, auch den Osten wiederbeleben könne.
Herausragende Vertreter dieser neuen Elite sind nahe Freunde des Herrschers
[448]. Unter Mahmüd II. (1808-1839) wurde insofern ein echter Bruch mit den
bisherigen Verhältnissen geschaffen, als
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