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Der Pakt der Liebenden

Der Pakt der Liebenden

Titel: Der Pakt der Liebenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Connolly
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nach waren sie von hinten gekommen. Er drehte sich um, doch da war nichts, nur Nebel. Er drückte das Gesicht wieder ans Glas und versuchte einen Blick auf die Frau zu werfen, die sich da drin versteckte. Er konnte sie förmlich sehen: ein dunkler Fleck auf dem Boden. Da war eindeutig jemand. Wer ist sie?, fragte er sich. Parkers Freundin sollte doch in Vermont sein, nicht hier. Mickey hatte vor, irgendwann in den nächsten zwei Wochen mit ihr zu reden. Jedenfalls lebten sie getrennt. Warum also sollte sie hier sein? Und warum sollte sie sich verstecken, wenn sie es denn war?
    Irgendetwas nagte an Mickey und machte ihn nervös, aber er versuchte es zu verdrängen. Es gelang ihm nur teilweise. Er spürte, dass es am Rande seines Bewusstseins lauerte, genau wie die Frau, die im Schatten der Tür kauerte, ein Wesen, das er nicht um sich haben wollte, vor dem er Angst hatte und dem er deshalb nicht sein ganzes Augenmerk schenken wollte.
    »Bitte. Ich will doch nur kurz mit Ihnen über Mr. Parker sprechen.«
    Michael
    Wieder die Stimme, nur dass sie diesmal näher war. Er meinte den Atem an seinem Hals zu spüren, aber vielleicht war das auch nur der Wind, der vom Meer kam, doch es ging kein Wind. Er fuhr herum, atmete schwer. Er spürte, wie ihm der Nebel in die Lunge drang. Er musste husten und schmeckte Schnee und Salzwasser. Ihm hatte die Art und Weise nicht gefallen, wie die Stimme seinen Namen ausgesprochen hatte. Ganz und gar nicht. Sie hatte einen spöttischen Unterton, und zugleich schwang eine Drohung darin mit. Er kam sich vor wie ein ungezogenes Kind, das von einem Kindermädchen angesprochen wird, aber –
    Aber es war eine Kinderstimme gewesen.
    »Wer ist da?«, sagte er. »Zeige dich.«
    Doch nichts regte sich, und niemand antwortete, nicht von vorn. Stattdessen nahm er eine Bewegung in seinem Rücken wahr. Langsam reckte er den Hals, wollte sich nicht von der Stimme abwenden, die ihn aus dem Nebel angesprochen hatte, aber unbedingt sehen, was hinter ihm los war.
    Die Frau stand wieder in der Küche, auf halber Höhe zwischen der Hintertür und dem Durchgang zum Wohnzimmer, aber sie wirkte substanzlos. Sie warf keinen Schatten und brach das wenige Licht eher, das durch das Glas drang, als dass sie es verdeckte, wie ein Stück Gaze in menschlicher Gestalt.
    geh weg
    bitte
    Es war die Betonung des Wortes »bitte«, die ihm an die Nieren ging. Er hatte diesen Tonfall schon früher gehört, für gewöhnlich, bevor ein Cop jemanden zu Boden rang oder der Türsteher eines Nachtclubs mit brutaler Gewalt gegen einen Betrunkenen vorging. Es war eine letzte Warnung, mit Höflichkeit verbrämt. Er drehte sich halb um, damit er sowohl die Tür als auch den Nebel im Auge behalten konnte, dann zog er sich in Richtung der nächsten Hausecke zurück.
    Denn der Schatten, der ihn beunruhigte, hatte gerade eine erkennbare Gestalt angenommen, auch wenn er es sich nicht eingestehen wollte.
    Eine Frau und ein Kind. Die Stimme eines kleinen Mädchens. Eine Frau im Sommerkleid. Mickey hatte dieses Kleid schon einmal gesehen, oder ein ganz ähnliches. Es war das Kleid, das Parkers Frau auf den Bildern getragen hatte, die nach ihrem Tod in der Presse kursiert waren.
    Sobald er außer Sichtweite der Tür war, fing Mickey an zu rennen. Einmal rutschte er aus, schlug schwer auf, holte sich eine nasse Hose und landete bis zu den Ellbogen im eisigen Schnee. Wimmernd stand er auf und klopfte sich ab. Dabei hörte er hinter sich ein Geräusch. Es wurde durch den Nebel leicht gedämpft, war aber klar zu erkennen.
    Die Hintertür wurde geöffnet.
    Er rannte wieder los. Sein Auto kam in Sicht. Er fand die Schlüssel in seiner Hosentasche und drückte einmal auf die Entriegelungstaste, um die Scheinwerfer anzuschalten. Dann blieb er jäh stehen und spürte, wie sich sein Magen umdrehte.
    Dort, auf der anderen Seite des Autos, war ein Kind, ein kleines Mädchen, das ihn durch das Beifahrerfenster anstarrte. Ihre linke Hand war ans Glas gedrückt, während sie mit dem Zeigefinger der rechten Hand Muster in die Feuchtigkeit zeichnete. Er konnte ihr Gesicht nicht deutlich sehen, wusste aber instinktiv, dass es keine Rolle spielte, wenn er nur wenige Zentimeter von ihr entfernt gewesen wäre statt gut ein paar Meter. Sie war genauso substanzlos wie der Nebel, der sie umgab.
    »Nein«, sagte Mickey. »Nein, nein.« Er schüttelte den Kopf. Hinter sich hörte er den Schnee unter den Füßen einer unsichtbaren Gestalt knirschen, die näher kam.

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