Der Pakt der Liebenden
und alle anderen Menschen fielen nach Mickeys Erfahrung irgendwo dazwischen.
Mickey Wallace war ein guter Reporter gewesen. Er interessierte sich wirklich für die Leute, über die er schrieb. Er musste es nicht vortäuschen. Die Menschen faszinierten ihn unendlich, und selbst die größte Dumpfbacke hatte eine Geschichte, die zu erzählen sich lohnte. Aber mit der Zeit hatte ihn der Journalismus gelangweilt. Er hatte nicht mehr die Kraft oder die Lust dazu, Tag für Tag hinter Leuten her zu sein, nur damit die Geschichten, die er auftat, noch vor dem Wochenende vergessen waren. Er wollte etwas schreiben, das langlebiger war. Er hatte daran gedacht, Romane zu schreiben, aber das war nichts für ihn. Er las keine, warum also sollte er welche schreiben? Das Leben an sich war seltsam genug, auch ohne dass man es fiktiv ausschmückte.
Nein, was Mickey interessierte, war Gut und Böse. Das war schon immer so, seit er sich als Kind im Fernsehen Die Leute von der Shiloh Ranch und Der Held mit der Maske angeschaut hatte. Selbst als Reporter hatten ihn vor allem Kriminalgeschichten gereizt. Klar, bei denen war die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie über dem Falz erschienen, und Mickey wollte seinen Namen so nah wie möglich an der Schlagzeile sehen, aber er war auch von der Beziehung zwischen den Mördern und ihren Opfern fasziniert. Es gab da eine gewisse Intimität, eine Bindung zwischen Mörder und Opfer. Mickey kam es so vor, als übertrage sich im Augenblick des Todes etwas von der Identität des Opfers auf den Mörder und niste sich tief in dessen Seele ein. Er glaubte außerdem, auch wenn es etwas strittiger war, dass der Tod der Opfer ihrem Leben Sinn gab, sie aus der Anonymität eines gewöhnlichen Daseins heraushob und ihnen eine Art Unsterblichkeit verlieh oder ihr jedenfalls so nahe kam, wie es aufgrund des zeitlich begrenzten öffentlichen Interesses möglich war. Mickey vermutete, dass die Bezeichnung Unsterblichkeit nicht ganz zutreffend war, zumal die Opfer ja tot waren, aber sie musste genügen, bis ihm ein besseres Wort einfiel.
Als Reporter war er zum ersten Mal indirekt in Kontakt mit Parker gekommen. Er war in der Nacht, in der Parkers Frau und sein Kind umgebracht wurden, in der Menschentraube vor dem kleinen Haus in Brooklyn gewesen. Er hatte über den Fall berichtet, aber die Geschichten waren immer kürzer geworden und immer mehr in den hinteren Teil der Zeitung gerutscht, als eine Spur nach der anderen versiegte. Irgendwann hatte sich Mickey nicht mehr mit den Parker-Morden befasst, sie aber im Hinterkopf behalten. Er hatte Gerüchte gehört, dass das FBI im Zusammenhang mit einem Serienmörder ermittelte, aber für diese Auskunft musste er versprechen dichtzuhalten, bis der richtige Zeitpunkt gekommen war.
Mickey hatte zwar ein echtes Interesse an Menschen und ihren Geschichten, doch er musste sich auch eingestehen, dass er etwas abgestumpft war, was in seinem Gewerbe häufiger vorkam. Er war neugierig auf Menschen, aber er machte sich nicht viel aus ihnen, jedenfalls nicht so viel, um ihre Schmerzen nachempfinden zu können. Er hatte Mitleid mit ihnen, eine vorübergehende, eher oberflächliche Gefühlsregung, aber er nahm nicht wirklich Anteil. Vielleicht war das eine Folge seiner Tätigkeit, dass er gezwungen war, sich mit einer Story nach der anderen zu befassen, dass Tiefgang und Dauer seiner Arbeit völlig davon abhingen, was die Öffentlichkeit und darüber hinaus seine Zeitung verlangte. Auch deswegen hatte er sich entschlossen, den Journalismus hinter sich zu lassen und sich dem Schreiben von Büchern zu widmen. Er hoffte wieder sensibler zu werden, wenn er sich nur in eine Handvoll Fälle vertiefte. Und außerdem wollte er damit ein bisschen Geld verdienen. Er musste nur die richtige Geschichte finden, und er war davon überzeugt, dass er mit Parker genau diese Geschichte gefunden hatte.
Mickey konnte sich noch genau an den Moment erinnern, als er zu der Überzeugung kam, dass dieser Mann etwas Ungewöhnliches an sich hatte. Er war nach dem Tod seiner Familie nicht zusammengebrochen. Und er war auch nicht in Talkshows gegangen, um über seinen Schmerz zu reden, damit die Morde in der Öffentlichkeit weiter präsent blieben und die Strafverfolger ständig unter Druck waren, den Killer aufzuspüren. Nein, er hatte eine Lizenz als Privatdetektiv erworben, und dann hatte er sich selbst auf die Jagd begeben, sowohl nach dem Mörder, der später der fahrende Mann genannt werden sollte,
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