Der Pakt der Liebenden
werden würde. »Herrgott, wie sind Sie nur an solche Freunde geraten?«
»Ich bin mir nicht sicher«, erwiderte ich. »Aber ich glaube, der Herrgott hatte nichts damit zu tun.«
16
Mickey Wallace verließ Portland am nächsten Tag in aller Frühe. Er kochte vor Unmut und einer kaum bezähmbaren Wut, wie er sie noch nie erlebt hatte, denn Mickey wurde nur selten wirklich wütend, aber durch die Begegnung mit Parker und den Versuch von Parkers Neandertalerfreund, ihm Angst einzujagen, war er wie ausgewechselt. Er war es gewohnt, dass Anwälte versuchten, ihn einzuschüchtern, und mindestens zweimal hatte man ihn an eine Mauer gedrückt und ihm schwere Verletzungen angedroht, aber seit vielen Jahren hatte ihn niemand mehr so geschlagen wie Parker. Genau genommen war Mickey auf der Highschool zum letzten Mal in eine auch nur annähernd ernsthafte Rauferei geraten, und dabei hatte er einen Glückstreffer gelandet und seinem Gegner einen Zahn ausgeschlagen. Er wünschte, er hätte Parker einen ähnlichen Hieb versetzen können, und als er sich am Logan International Airport in Boston an Bord eines Shuttleflugzeugs begab, ging er in Gedanken alle möglichen Szenarien durch, in denen er Parker auf die Knie zwang und den Detektiv demütigte, nicht umgekehrt. Er befasste sich ein paar Minuten lang damit, dann ließ er es sein. Es würde noch andere Möglichkeiten geben, mit denen er Parker dazu bringen könnte, seine Tat zu bereuen, allen voran die Fertigstellung des Buches, für das Mickey sich mit ganzem Herzen und seinem guten Ruf einsetzen wollte.
Sein Erlebnis in dieser nebelverhangenen Nacht bei Parkers Haus beunruhigte ihn noch immer. Er hatte gedacht, seine heftige Reaktion darauf, seine Angst und Verwirrung würden abklingen, doch dem war nicht so. Stattdessen schlief er immer noch unruhig, war in der ersten Nacht nach der Begegnung um genau 4:03 Uhr morgens aufgewacht und überzeugt davon gewesen, dass er nicht allein in seinem Motelzimmer war. Er hatte die Lampe neben seinem Bett eingeschaltet, worauf die umweltfreundliche Glühbirne langsam zum Leben erwacht war und den Großteil des Zimmers ausgeleuchtet hatte, die Winkel aber im Schatten ließ, so dass Mickey das unangenehme Gefühl hatte, dass die Dunkelheit rundum nur widerwillig vor dem Licht zurückgewichen war und die Wesen verbarg, die er an den Stellen erahnte, die der Lichtschein nicht erreichte. Er dachte an die Frau, die sich hinter die Küchentür gekauert hatte, und das Kind, das mit dem Finger über das Fenster des Autos gestrichen war. Er hätte ihre Gesichter sehen sollen, aber dem war nicht so gewesen, und irgendetwas sagte ihm, dass er zumindest dafür dankbar sein sollte. Die Gesichter waren aus einem bestimmten Grund vor ihm verborgen geblieben.
Weil der fahrende Mann sie zerfetzt hat, deswegen, weil er nichts übrig gelassen hat außer Blut, Knochen und leeren Höhlen. Und das wolltest du nicht sehen, nein, Sir, weil dich dieser Anblick verfolgt hätte, bis du zum letzten Mal die Augen schließt und man dir ein Laken übers Gesicht zieht. Niemand kann sich eine derartige Grausamkeit anschauen, ohne für immer Schaden zu nehmen.
Und wenn das die Menschen waren, die du geliebt hast, deine Frau und dein Kind, na ja …
Eine Freundin und ihre Tochter. Zwei Besucher, so hatte sie Parker Mickey gegenüber bezeichnet, aber Mickey hatte ihm diese Erklärung nicht eine Sekunde lang abgenommen. Ach, Besucher waren sie schon, aber keine solchen, die im Gästezimmer schliefen und an Winterabenden Brettspiele spielten. Mickey wusste nicht, was sie waren, noch nicht, und er hatte sich auch noch nicht entschieden, ob er seine Begegnung mit ihnen in das Manuskript aufnehmen sollte, das er seinem Verleger präsentieren würde. Vermutlich nicht. Denn wenn er eine Geistergeschichte in seinen Text einbaute, lief er Gefahr, dass er ein ansonsten auf Tatsachen beruhendes Werk um seine eigentliche Wirkung brachte. Und dennoch standen diese Frau und das Kind und das, was man ihnen angetan hatte, im Mittelpunkt des Buches. Mickey war immer der Meinung gewesen, dass Parker von dem, was seiner Frau und seinem Kind zugestoßen war, heimgesucht wurde, aber nicht im wortwörtlichen Sinn. War das die Erklärung? War das, was Mickey erlebt hatte, ein Beweis dafür, dass er tatsächlich heimgesucht wurde?
All diese Gedanken und Überlegungen fügte er zu seinen Notizen hinzu.
Mickey stieg in einem Hotel bei der Penn Station ab, einer typischen Touristenfalle mit
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