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Der Pakt der Liebenden

Der Pakt der Liebenden

Titel: Der Pakt der Liebenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Connolly
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Alter kommt, ist das eben so. Ich war in diesem Jahr schon bei drei Beerdigungen. Lauter Cops, und alle sind sie an Krebs gestorben.« Er seufzte. »So will ich nicht abtreten.«
    »Eddie Grace stirbt an Krebs.«
    »Ich hab’s gehört. Ich habe mir überlegt, ob ich ihn besuchen soll, aber Eddie und ich –« Er schüttelte den Kopf. »Das Einzige, was wir gemeinsam hatten, war dein alter Herr. Als er gegangen ist, hatten Eddie und ich keinen Grund mehr, miteinander zu reden.«
    Mir fiel ein, was Eddie zu mir gesagt hatte, kurz bevor ich ihn verlassen hatte – dass Jimmy Gallagher ein Leben lang eine Lüge gelebt habe. Vielleicht hatte sich Eddie, wenn auch indirekt, auf Jimmys Homosexualität bezogen, aber ich wusste jetzt, dass es noch andere Lügen gab, die es aufzudecken galt, auch wenn manchmal nur die Wahrheit verschwiegen worden war. Dennoch stand es Eddie Grace nicht zu, darüber zu urteilen, wie jemand lebte, jedenfalls nicht auf die Art und Weise, mit der er über Jimmy geurteilt hatte. Wir alle zeigen der Welt nur ein Gesicht und verbergen das andere. Sonst könnte niemand überleben. Als Jimmy sein Herz ausschüttete und mir nach und nach die Geheimnisse meines Vaters offenbarte, wurde mir klar, wie Will Parker unter ihrer Last zusammengebrochen war, und ich empfand nur noch Trauer um ihn und die Frau, die er betrogen hatte.
    Jimmy holte einen Korkenzieher aus einer Schublade und schnitt vorsichtig die Folie an der Flasche auf, bevor er die Spitze in den Korken stach. Nur zwei Umdrehungen und ein kräftiger Zug waren nötig, dann löste sich der Korken mit einem satten Ploppen. Er musterte ihn, um sicherzugehen, dass er nicht trocken oder faulig war, dann warf er ihn beiseite.
    »Früher hab ich immer an den Korken gerochen«, sagte er. »Aber dann hat mich jemand darauf hingewiesen, dass das nichts über die Qualität des Weins besagt. Schade. Es hatte was Rituelles an sich, das mir gefallen hat, bis ich erfahren habe, dass ich dadurch wie ein Ahnungsloser aussehe.«
    Er stellte die Kerze hinter die Flasche, als er den Wein dekantierte, damit er sehen konnte, wie die Ablagerungen im Hals auftauchten.
    »Der muss nicht lange stehen«, sagte er, als er fertig war. »Das macht man bloß bei jungen Weinen. Es mildert den Tanningeschmack.«
    Er goss zwei Gläser ein und setzte sich. Er hielt sein Glas ins Kerzenlicht und musterte es, schnupperte daran, ließ den Wein kreisen, schnupperte erneut daran und hielt den Kelch dann in der Hand, um ihn zu wärmen. Schließlich kostete er ihn, ließ den Wein im Mund zergehen und genoss den Geschmack.
    »Fantastisch«, sagte er, dann hob er sein Glas und prostete mir zu. »Auf deinen alten Herrn.«
    »Auf meinen alten Herrn«, wiederholte ich. Ich trank einen Schluck. Der Wein schmeckte voll und erdig.
    »Domaine de la Romanée-Conti, neunzehnhundertfünfundneunzig«, sagte Jimmy. »Ein ziemlich gutes Jahr für einen Burgunder. Wir trinken hier eine Flasche Wein für sechshundert Dollar.«
    »Was feiern wir?«
    »Das Ende.«
    »Von was?«
    »Von Geheimnissen und Lügen.«
    Ich stellte mein Glas hin. »Und womit willst du anfangen?«
    »Mit einem toten Baby«, sagte er. »Mit dem ersten toten Baby.«
    Keiner von ihnen wollte diese Woche die Tour von zwölf bis acht übernehmen, aber so war nun mal der Lauf der Welt, so hatte es sich ergeben, oder was immer man auch sagte, wenn man wohl oder übel in den sauren Apfel beißen musste. An diesem Abend veranstaltete das Revier eine Party im Ukrainian National Home, aus dessen Restaurant im Erdgeschoss immer der Geruch nach Borschtsch, Piroggen und Graupensuppe drang und in dem der Regisseur Sidney Lumet vor den Dreharbeiten mit seinen Schauspielern probte, so dass im Laufe der Zeit Paul Newman und Katherine Hepburn, Al Pacino und Marlon Brando die gleichen Treppen auf- und abstiegen wie die Cops vom Neunten. Die Party fand zu Ehren von drei Polizisten statt, denen in diesem Monat das Combat Cross verliehen worden war, die zweithöchste Auszeichnung der New Yorker Polizei, ein grüner Balken, den diejenigen erhielten, die in eine Schießerei geraten waren. Das Neunte war schon damals der Wilde Westen: Cops kamen ums Leben. Wenn es auf einen selber und den anderen Typ hinauslief, schoss man zuerst und machte sich später Gedanken über den Papierkram.
    New York war damals nicht so wie heute. Im Sommer ’64 erreichten die Rassenunruhen ihren Höhepunkt, als in Harlem der fünfzehnjährige James Powell von einem

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