Der Pakt der Wächter: Roman
Nacht.
Esteban bleibt taumelnd stehen, bevor er zu Boden geht, wo er sich in einer Blutlache wie ein Säugling zusammenrollt.
Sein Körper zuckt noch einmal, dann liegt er still.
Beatriz zieht in einem langen Schluchzer Luft ein.
Estebans acht Wachen sind tot. Keiner von ihnen konnte auch nur einen einzigen Schuss abfeuern.
»Ich bin auch keine Idiotin, Esteban«, sagt Beatriz.
»Beatriz«, flüstere ich.
»Psst. Jetzt nicht.«
Einer der uniformierten Kommandosoldaten stellt sich vor sie. »Tut mir leid!«, sagt er kurz. »Bleiben wir bei dem Plan?«
»Ja, alles wie besprochen.«
»Besprochen?«, frage ich.
»Sehen wir zu, dass wir hier wegkommen.«
»Aber …«
Beatriz nimmt meine Hand. »Mehr müssen Sie nicht wissen, Bjørn.«
»Ich will es aber wissen. Das war schon immer mein Problem.«
Leise lachend nickt sie vor sich hin.
»Was passiert jetzt, Beatriz?«
»Wir fahren los.«
»Und … das hier?«
»Die Leichen, mit Ausnahme von Esteban, werden auf einem einsamen Friedhof hundert Kilometer nördlich der Stadt vergraben. Das hier ist nie passiert.«
»Und Esteban?«
»Die Familie hat ihr eigenes Mausoleum, was Sie sicher nicht wundert. Im Miércolespalast.«
»Aber die Polizei …«
»Mit der Polizei habe ich alles geregelt.«
»Wie …?«
»Der Miércolespalast wurde heute Nacht angegriffen, von Räubern, Terroristen … Ich weiß es nicht. Mein tapferer Bruder hat versucht, sie aufzuhalten. Ich selbst bin ihnen gerade noch entkommen.«
Sie wirft einen letzten Blick auf die Leiche ihres Bruders.
»Mach’s gut, Esteban«, sagt sie kalt.
4
Während die Leichen hinten in den Hummern verstaut werden, tragen wir die Kisten mit der Mumie und den Dokumenten an Bord des Schiffes. Unbeeindruckt machen sich die Packer über Beatriz’ unzählige Koffer und Taschen her, die sie im Transit verstaut hat.
Alles geschieht schnell und effektiv.
Jemand packt mich am Arm und hilft mir über den Landgang an Bord.
Die Mannschaft löst die Leinen. Die Desidéria dreht ihren Bug in Richtung Meer.
5
Eine halbe Stunde später gehe ich an Deck, lehne die Ellenbogen auf die Reling und sehe zu, wie die Desidéria nach Südosten stampft. Der Motor brummt standhaft und lässt den Rumpf vibrieren.
Ich blicke zum letzten Mal hinüber nach Santo Domingo. Die Stadt strahlt mir mit unzähligen erhellten Fenstern entgegen, Leuchtreklamen blinken und Autorücklichter ziehen einen roten Lichtschleier hinter sich her.
Ich werfe die zweite Krücke über Bord. Wie ein flatternder Pfeil verschwindet sie in der Tiefe.
Eine Tür geht auf und fällt wieder ins Schloss.
Einen Augenblick lang ist es still.
»Hier sind Sie«, sagt Beatriz so leise, dass ich sie kaum höre. Sie zieht die Bluse über ihre nackten Arme, ehe sie sich an meine Schulter lehnt. Es hört sich an, als weinte sie. Ich schiebe meine Hand um ihre Hüfte. Das Schiff rollt in der Dünung. Ein Schleier aus Gischt benetzt mein Gesicht. Die Seeluft ist rau und frisch. Nach den Tagen in der stinkenden Zelle bringt das Meer einen Duft der Hoffnung mit sich. Wir bleiben dicht beieinander stehen, wortlos, den Blick auf die Stadt gerichtet, die kleiner und kleiner wird, bis auch die letzten Lichter von der Nacht und dem Meer gelöscht werden.
Epilog
Ich habe das Leben verlassen, kein Fehl war an mir,
da ich vor Osiris und seine Richter trat.
Ich stehe vor dir, Herr aller Götter.
Ich habe mich den Toten angeschlossen, dem Land der
Rechtfertigen. Ich erreiche das Land derer,
die im Horizont ruhen, nähere mich der
heiligen Pforte.
DAS ÄGYPTISCHE TOTENBUCH
Und die Zeit wird kommen, wenn
DIE WÄCHTER DEN HEILIGEN an seine Ruhestatt
zurückbringen werden, unter der heiligen Sonne,
in der heiligen Luft, in dem heiligen Berg.
ASIM
DIE NEW YORK TIMES
LONDON (REUTERS) – Die Mumie, bei der es sich angeblich um die sterblichen Überreste des biblischen Moses handeln soll, sowie die Originalpapyrushandschrift mit dem sechsten Buch Mose wurden heute an die ägyptischen Behörden übergeben.
Die internationale Forschergruppe, die die Mumie und die alte Handschrift untersuchen wird, nimmt ihre Arbeit am Montag auf.
Dem Fund ging die Entdeckung diverser Grabkammern in Norwegen und auf Island voraus, wobei der Zusammenhang zwischen den archäologischen Funden in Ägypten, Norwegen und Island unklar bleibt.
Ein Sprecher des Vatikans, Kardinal T.K. Bertone, sagt, der Vatikan habe von dem Fund der Mumie und der
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