Der Pakt der Wächter: Roman
schimmeliger, moderig feuchter Geruch empor. Ich knipse die Taschenlampe an und leuchte in den dunklen, mit Steinplatten gepflasterten Raum unter dem Kirchenboden.
»Eine Krypta? Finden sich solche Grabplatten nicht eher im Chorraum, vor dem Altar oder in einem Seitenschiff?«
»Dieses Grab ist erst bei dem großen Umbau im 17. Jahrhundert entdeckt worden«, erklärt sie. »Man hat damals große Teile des Bodens aufgebrochen, weil die Tragbalken am Verrotten waren. Die Krypta war äußerst geschickt versteckt, und erst als der ganze Boden offengelegt war, konnte man an sie heran. Der Baumeister der Kirche hatte eine ausgeklügelte Konstruktion aus Holzbalken und Zahnrädern in den Boden eingebaut, mit der sich ein riesiges Schloss öffnen ließ, indem man die Position eines Balkens in unmittelbarer Nähe des Altars veränderte. Bedauerlicherweise wurde die Konstruktion mit dem Rest der Kirche bei einem Brand zerstört. Das wenige, was über diesen Schließmechanismus bekannt ist, stammt aus zwei Handschriften, die hier im Ort aufbewahrt werden.«
»Die Steinplatten sind wahrscheinlich auch ein Anachronismus, oder?«
»Normalerweise wurde das Erdreich nur flach ausgehoben und die Leichname auf eine Lage Birkenrinde gebettet. Eine Grabkammer wie diese ist äußerst ungewöhnlich.«
»Befindet sich etwas in der Krypta?«
»Das ist ja das Merkwürdige. Sie war leer. Vollkommen leer.«
Øyvind, Vibeke und ich steigen in die enge, niedrige Kammer hinunter, in der es wirklich nichts zu sehen gibt. Auf den Steinplatten an den Wänden und auf dem Boden finden sich nicht einmal Bruchstücke von Inschriften.
2
Am nächsten Morgen machen wir mit unserer Inspektion weiter. Es ist kühl. Øyvind und ich tragen beide ausgeleierte Norwegerpullover. Vibeke wirbelt wie ein diensteifriger Dschinn, die jemand aus der Flasche befreit hat, um uns herum. Gegen 12 Uhr machen wir uns über die Brötchen her, die wir im Hotel am anderen Ufer des Fjords bekommen haben. Wir teilen unser Picknick mit Vibeke, die uns im Gegenzug Kaffee aus einer großen Thermoskanne spendiert, woran weder Øyvind noch ich gedacht haben.
Es vergehen noch einige weitere Stunden, ehe wir auf eine Klappe stoßen.
Sie ist perfekt getarnt. Ich finde sie – nicht zufällig, aber dennoch nur mit Glück – auf der Rückseite des Kapitells eines soliden Tragbalkens, der vom Boden bis zum Dach reicht, etwa vier Meter über dem Boden, unmittelbar über der aus dem Jahr 1690 stammenden Kanzel.
Auf den ersten Blick fällt mir in dem geschnitzten Ornamentrahmen nur ein ganz feiner Haarriss im Holz auf. Ich klopfe den Balken ab, um festzustellen, ob er hohl ist. Schwer zu sagen. Dann wandert mein Blick zurück zu dem Riss im Holz und folgt seinem rechteckigen Verlauf in der Schnitzarbeit Zentimeter für Zentimeter. Ich rufe Øyvind und Vibeke zu mir. Sie steigen zu mir auf die Kanzel, entdecken den Umriss der Luke aber erst, als ich sie mit der Nase darauf stoße.
»Grundgütiger«, sagt Vibeke. »Und ich dachte, wir kennen jeden Quadratzentimeter dieser Kirche.«
Mithilfe meiner Fingerkuppen und Øysteins Leatherman versuche ich, die Luke zu öffnen, aber sie ist mit absoluter Präzision in den Balken eingelassen und lässt sich keinen Millimeter bewegen. Øyvind und Vibeke versuchen ebenfalls ihr Glück, aber selbst Vibeke mit ihren langen roten Nägeln scheitert.
»Könnte es sein, dass die Klappe verleimt ist?«, fragt sie.
»Dann hilft nur noch eine Stichsäge. Oder ein Drillbohrer«, scherze ich.
Vibekes Blick gibt mir deutlich zu verstehen, dass man über manche Dinge keine Scherze macht.
»Also, ich würde vorschlagen, den Balken einmal quer durchzusägen«, wiehert Øyvind. Im Gegensatz zu mir fehlt ihm jede Sensibilität für die stumme Sprache der Blicke.
Fast eine Stunde suchen wir nach einer Möglichkeit, die Klappe zu öffnen. Gerade als wir aufgeben wollen, entdeckt Øyvind den ausgeklügelten Schließmechanismus.
In einer eingerahmten Fläche auf der Rückseite des Balkens sind drei Blüten geschnitzt, deren Blütenstempel sich als eingesetzte Holzzapfen entpuppen. Wir drehen die aufgequollenen Zapfen hin und her und kratzen sie ganz vorsichtig mit der kleinsten Klinge des Leathermans frei, bis sie sich herausziehen lassen. »Na, da werde ich aber gehörigen Ärger kriegen«, seufzt Vibeke mit begeistert glitzernden Augen.
Wir stehen etwas ratlos vor den drei kleinen Löchern, die viel zu eng für unsere Finger sind. Als ich aber
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