Der Pakt der Wächter: Roman
wollen Sie das wissen?«
Er lächelt ein trauriges, zahnloses Lächeln. »Sehen Sie sich doch um! Sind irgendwo auf der Welt Zeichen zu erkennen, die auf einen lebendigen, aktiven Gott schließen lassen? Deutet irgendetwas in unserem Dasein auf einen liebevollen Gott hin, der über uns wacht?«
»Ich bin Atheist.«
»Wie können Sie auf dieser Erde leben, ohne an etwas zu glauben?«
»Warum sollte ich an einen Gott glauben?«
»Jesus ist der Weg, die Wahrheit und das Leben.«
»Eine Floskel. Warum sollte Ihr Glaube wahrhaftiger sein als der eines Buddhisten oder Hindus? Was macht Ihren Gott mächtiger als Brahman? Juden oder Christen, Muslime oder Sikhs – sie glauben alle mit der gleichen Innigkeit an ihren jeweiligen Gott, ihre Auslegung, ihre Wahrheit. Haben alle recht? Ihr Gott verurteilt die anderen. Also sagen Sie mir: Wer hat recht? Welche der Weltreligionen ist wahrer als die anderen? Und welche christliche Glaubensrichtung würde Ihrem Gott und Jesus behagen? Die der Katholiken? Mormonen? Der Zeugen Jehovas? Der Protestanten? Baptisten? Pfingstler? Adventisten?«
»Bjørn...«
»Warum soll ich an einen Gott glauben, der über alle Völker der Welt herrscht und sich ausgerechnet einen Nomadenstamm im Nahen Osten aussucht? Was ist mit den Eingeborenen von Hawaii? Den Inuit? Den Aborigines? Warum sitzt Ihr Gott da oben im Himmel und drückt ein winzig kleines Volk an seine Brust, während andere noch nicht einmal etwas von ihm gehört haben?«
»Die Wege des Herrn sind unergründlich.«
»Die Wege des Herrn sind komplett irrational. Dass die Israeliten vor zwei-, dreitausend Jahren an ihn geglaubt haben, kann ich verstehen. Aber dass heute noch Menschen auf diesen Aberglauben schwören, überschreitet mein Fassungsvermögen.«
»So spricht ein Tor.«
»Sie sagen doch selbst, dass das Herz Ihres Gottes zu schlagen aufgehört hat.«
»Ein Gott stirbt langsam, Bjørn. Er stirbt nicht über Nacht. Ausgehend von Bibelinterpretationen, verschiedenen Zeichen und dem Verständnis von Prophezeiungen und Gebeten, sind wir zu dem Schluss gekommen – nur eine Vermutung, ich gebe es zu -, dass Gottes langsames Sterben im 12. Jahrhundert begann und er gegen Ende des 19. Jahrhunderts gestorben ist. Gott ist seit über hundert Jahren tot. Und wir sind nicht in der Lage, das zu akzeptieren.«
»Sie sind Mönch. Zu wem beten Sie, wenn Ihr Gott tot ist?«
»Hören Sie auf, Ihre Mutter oder Ihren Vater zu lieben, weil sie tot sind? Wir beten für das Andenken an Gott. An Jesus. Für die Werte, für die sie standen, und für alles, was sie uns gelehrt haben.«
»Und welche Konsequenz hat es, wenn Sie recht haben? Wer hat das Ruder übernommen? Gibt es andere Götter, die nur darauf warten, dort weiterzumachen, wo Ihr Gott aufgehört hat?«
»Das wissen wir nicht. Noch nicht. Die Gnostiker – die christliche Sekte, die von den katholisch-orthodoxen Kirchenvätern, die als Sieger aus den Glaubenstreitigkeiten hervorgingen, als Ketzer abgestempelt wurden – haben nie anerkannt, dass unser Gott allmächtig und der alleinige Herrscher ist. Im Gegenteil, viele glaubten, dass Jahve ein niederer und größenwahnsinniger Gott sei, dessen Schöpfung – die Erde und die Menschen – der Beweis für seine Untauglichkeit war. Über Jahve und den anderen rivalisierenden Göttern stand eine mächtigere Gottheit, der wahre Gott, der hoch über die irdischen Trivialitäten erhoben war. Wohlan, weder jüdische Rabbiner noch christliche Kirchenväter konnten diese Irrlehre akzeptieren. Schließlich hatte der Gott des Alten Testamentes uns befohlen, IHN und keinen anderen anzubeten. Hm. Aber was, wenn die Gnostiker recht hatten? Was, wenn der Jahve des Alten Testamentes ein herrschsüchtiger Gott war – ein Aeon -, der hysterisch von Bagatellen besessen war, so zum Beispiel von der Frage, wie wir IHN anzubeten haben? Was, wenn Jahve nur einer von vielen Göttern war? Wenn es eine schöpferische Kraft gibt, einen wahren Gott, den noch keine Religion in ihr heiliges Blendwerk zu bannen vermochte? Es können noch Hunderte von Jahren vergehen, ehe der neue Gott stark genug ist, sich den Menschen zu offenbaren und neue Propheten zu wählen, auf die die Menschheit hört und die sie anbetet. Sie sind ein Kind der Gottlosigkeit, der Säkularität, der Gleichgültigkeit der Ewigkeit und allem Heiligen gegenüber. So gesehen ist Ihre atheistische Haltung das Ergebnis von Gottes Abwesenheit im Dasein.«
Wir sitzen eine Weile schweigend in
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