Der Pakt der Wächter: Roman
Äxte und Schilde.
Drachenköpfe.
»Wikinger«, murmele ich.
»Meine Worte. Wikinger! Keine Soldaten oder Schiffe aus Byzanz! Wikinger! Aber die Teufel hatten nicht mehr als ein Lachen für mich übrig.«
Wir steigen eine weitere Treppe in die zweite Grabkammer hinunter. In der Gewissheit, dass wir die Einzigen hier unten sind und ich jederzeit nach oben an die frische Luft laufen kann, halte ich die Klaustrophobie in Schach. Zumindest bis auf Weiteres.
An der Rückwand der zweiten Grabkammer sind die Reste einer Mauer zu erkennen, dort war die Kammer ursprünglich geschlossen. Wir steigen durch das Loch in der Wand, klettern über eine weitere Treppe nach unten und gelangen in den nächsten Tunnel, an dessen Ende sich die letzte Grabkammer befindet.
Das Heiligste des Heiligsten.
Leere Kammern, leere Tonkrüge.
Ein leerer Sarkophag...
Hier drinnen, in der innersten Kammer, war ein ausgestoßener Herrscher zu seiner letzten Ruhe gebettet worden, ein Herrscher, der später den Namen Der Heilige bekam.
Wer war er? Warum war man so eifrig darauf bedacht, ihn zu verstecken?
Welche Schätze hatte er bei sich in seiner Grabkammer?
Welche Schriften?
Welche Heiligtümer?
Und warum wurde er zweieinhalbtausend Jahre bewacht?
»Wir glauben«, sagt Stuart, »dass der Text, den ihr in der Höhle bei Thingvellir gefunden habt, eine Kopie und eine Übersetzung des Originals ist, das hier gelegen hat.«
Stuart zeigt mir in der ansonsten leeren Grabkammer die Wandmalereien, Inschriften und Hieroglyphenkartuschen, deren Bedeutungen sich mir erst erschließen, als er sie mir erläutert. Als unsere Taschenlampen anfangen zu flackern, begeben wir uns zurück zum Ausgang.
Die frische Luft ist wie eine Liebkosung.
Wir passieren den Wächter, der jetzt fest schläft, und gehen schweigend und nachdenklich zu dem geparkten Wagen zurück.
Bevor er den Zündschlüssel umdreht, sagt Stuart, dass er mit mir in ein Dorf fahren will, das es nicht gibt, um mit einem Mann zu sprechen, der nicht existiert.
3
Die koptische Klosterkirche »Markus’ Ruh« ist in Sandstein um einen üppig grünen Garten mit glucksendem Wasser gebaut. Genauso muss es hier ausgesehen haben, als die Mönche vor eintausendneunhundert Jahren den letzten Stein verarbeitet und sich den Sand von den Händen geklopft haben.
Auf dem Dach prangt ein vergoldetes Anch.
Stuart parkt den Wagen in einer Staubwolke, die weiter über den Parkplatz wirbelt wie die Miniaturausgabe eines widerspenstigen Wüstensturms.
Die Klosterkirche liegt am Rand der Vergessenen Stadt in einer Talsohle in der Wüste, wenige Meilen von Luxor entfernt. Die Vergessene Stadt ist auf keiner Landkarte vermerkt, und nur in Ausnahmefällen wird sie in Touristenbroschüren als »die Ruine einer Wüstenstadt, die sich weigert zu sterben« erwähnt. Offiziell gibt es diesen Ort nicht. Die ägyptischen Behörden weigern sich seit dem 15. Jahrhundert vehement, seine Existenz anzuerkennen. Auslöser dafür war ein Streit zwischen den Mönchen, einem Beduinenstamm und der Zentralbehörde, wem die Quelle gehört, die den Wüstenort versorgte. Als die Behörden 1481 den Kampf gegen die hartnäckigen Wüstenbewohner aufgaben – schließlich befanden sich die verteufelte Wüstenstadt und das Kloster in einem windgepeitschten, abgelegenen Tal, in dem es außer flirrender Hitze, Sand und furzenden Dromedaren nichts gab -, löschten sie den Namen des Ortes aus allen Unterlagen und Registern. Bis zum heutigen Tag ist es niemandem in den Sinn gekommen, das Dorf wiederauferstehen zu lassen. Die Herrschenden in Ägypten sind nachtragend. Der Ort, dessen ursprünglicher Name längst der Vergessenheit anheimgefallen ist, hat keine Schule, kein Rathaus, keine Polizei und keine medizinische oder ärztliche Versorgung. Die Kinder, die hier aufwachsen, werden mit dem Bus in die Schule nach Qena gefahren, wo sie als Kinder ohne festen Wohnsitz geführt werden.
Am Rande dieser Oase, dieser nichtexistenten Ansammlung von Häusern aus Stein und getrocknetem Lehm, liegt Markus’ Ruh.
4
Die Klosterpforte öffnet sich.
Der Mann, der heraustritt, sieht aus, als lebe und wirke er hier seit der Grundsteinlegung des Klosters. Sein Gesicht erinnert mich an eine in der Sonne getrocknete, verschrumpelte Rosine. Er hat einen Turban um den Kopf geschlungen, schlurft uns in einem Paar Bastsandalen entgegen und begrüßt uns mit Handschlag und einem zahnlosen Lächeln. Auf der Innenseite seines rechten Unterarms
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