Der Pakt der Wächter: Roman
Motiven von siebenhunderteinundvierzig Gottheiten dekoriert. Eine weitere Treppe führt über mehrere Stockwerke nach unten in eine ovale Grabkammer mit zwei Säulen und vier Nebenkammern.
Ich höre das begeisterte Murmeln der Touristen. Wie lange dauert es, bis so viele Menschen den Sauerstoff verbraucht haben? Ich werde angerempelt und laufe einem Touristen ins Bild, der gerade die Wandmalereien fotografiert. Ich lächele ihn entschuldigend an und zerre an meinem engen Halsausschnitt.
»Stimmt was nicht, Bjørn?«, fragt Stuart.
»Nein, alles klar«, japse ich.
Die Wände der Grabkammer sind wie eine Papyrusrolle gestaltet und geben den Text des heiligen Buches Amduat über das Jenseits wider. Auf den zwei rechteckigen Säulen stehen Auszüge aus Res Litanei und ein Motiv des Toten zusammen mit einer Göttin. In dieser Grabkammer wurde vor fast dreitausendfünfhundert Jahren die Mumie von Pharao Thutmosis III. zur Ruhe gebettet. Er war der sechste Pharao in Ägyptens achter Dynastie und gilt als einer der größten Könige Ägyptens. Er regierte über ein halbes Jahrhundert, bis zu seinem Tod um das Jahr 1425 v. Chr. Die Grabkammer wurde 1898 von dem französischen Ägyptologen Victor Loret entdeckt. Die Mumie von Thutmosis III. wurde jedoch bereits siebzehn Jahre zuvor in der Deir-el-Bahri-Höhle in den Felsen nahe des Hatschepsut-Tempels gefunden, zusammen mit fünfzig weiteren Mumien.
Ich tippe Stuart auf den Arm. »Die Luft ist ziemlich schlecht«, sage ich. »Haben wir genug gesehen?«
2
Wir verlassen das Tal der Könige und fahren parallel zu den Bergen und zum Nil in Richtung Norden. Ich kurbele das Seitenfenster herunter und sauge gierig Luft in meine Lunge. Stuart fragt, ob ich Fliegen fangen will. Ich erinnere ihn daran, dass ich Vegetarier bin.
Wenig später biegt er zu einem gigantischen Bauwerk in der Bergwand ab, das von einer Mauer und einem hohen Stacheldrahtzaun umgeben ist.
»Das ist der Tempelpalast des Amon-Ra-Kultes«, sagt Stuart. »Bis hierher sind die Wikinger mit ihren Schiffen gekommen.«
Er öffnet ein unverschlossenes Gatter und parkt im Schatten eines Baumes.
»Dort unten« – er zeigt auf die Ebene zwischen den Bergen und dem Nil – »gab es einst einen Seitenkanal, den die Bauern inzwischen mit Erdreich aufgefüllt haben.« Er dreht sich zum Tempel um. »Und dort regierte der Hohepriester Asim.«
Zwei riesige Statuen der Götter Amon-Ra und Osiris bewachen eine breite Treppe, die zu dem Plateau vor dem Tempel hinaufführt. Wir folgen dem sandigen Pfad zu dem Tempelpalast.
»Die Sekte nannte sich Die demütigen Diener seiner Heiligkeit des Sonnengottes Amon-Ra und Wächter des göttlichen Paktes , uns eher bekannt unter dem Namen Amon-Ra-Kult . Die Sekte existierte bis ins 13. Jahrhundert. Zu dem Zeitpunkt war das Heiligtum, das sie bewachen sollten, seit zweihundert Jahren verschwunden. Von den Wikingern gestohlen. Selbst die eingefleischtesten Hohepriester müssen es irgendwann als vergeudete Liebesmüh angesehen haben, etwas zu bewachen, das schon lange nicht mehr da war.«
»Die Bundeslade?«
»Das wäre was«, sagt Stuart überraschend gelassen. »Nein, ich glaube, es handelte sich um etwas ganz anderes.«
Wir betrachten die steinernen Statuen und den Palast. Ich versuche, mir vorzustellen, wie es hier vor tausend Jahren ausgesehen hat. Oder zweitausend. Oder dreitausend.
Dann drehe ich mich zum Nil um und stelle mir die Wikingerflotte darauf vor.
»Nicht wahr?«, sagt Stuart, der Gedankenleser.
Tempel und Grabkammer sind nicht für Besucher geöffnet, aber Stuart hat einen Passierschein von den ägyptischen Behörden und einen ägyptischen Fünfzigpfundschein, der den Wächter, der halb dösend an dem Gittertor Wache hält, überzeugt. Wir betreten den Palast. Stuart führt mich in den Tempelsaal. Hinter einer Konstruktion, die einmal einen Altar darstellte, sehe ich den verhängten Eingang zu den Grabkammern.
Ich hole tief Luft, ehe wir eintreten.
Stuart und ich knipsen die Taschenlampen an, weil es so dunkel ist. Wir müssen eine lange Treppe nach unten gehen und einen Tunnel durchqueren, ehe wir die erste Kammer erreichen. Die Lichtkegel der Taschenlampen flackern über Wandmalereien und Inschriften.
»Hier habe ich die Zeichnungen und Hieroglyphen gefunden – die den Überfall der Wikinger vor tausend Jahren schildern«, sagt Stuart.
Er zeigt mir die Wandzeichnungen.
Langschiffe.
Langhaarige, bärtige wilde Männer mit blauen Augen.
Schwerter,
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