Der Pakt des Seelensammlers (German Edition)
vor Jahren der Dachstuhl teilweise eingestürzt war, und seitdem in den Räumen im Keller wohnte. »Jim lässt mich eher auf dem Boden schlafen, als dass er mir ein Gästezimmer gibt, auch wenn das halbe Hotel leer steht.«
Bradley lachte heiser. »Ja, worauf du einen lassen kannst! Aber ich kann dich beruhigen: Die Wohnung ist frei. Hat zwar ein wenig Staub angesetzt, aber der wird nicht stören, eine Nacht lang.«
Jack nickte. »Hoffen wir, dass es bei einer Nacht bleibt.«
»Meine Nase sagt, der Sturm ist bald vorbei«, sagte Bradley heiter. »Eine Nacht, nicht länger.«
Er sollte sich irren.
8
Miranda Reiley setzte neben ihren Namen eine Unterschrift (und versuchte dabei, das Zittern ihrer Finger so gut wie nur irgendwie möglich in den Griff zu bekommen), nahm ihren Koffer und den Zimmerschlüssel für den zweiten Stock und ging als vorletzte der kleinen Gruppe zu den Aufzügen hinüber.
Die Türen öffneten sich mit einem leisen Glockenton, als die Aufzüge kamen und der Glockenton erinnerte sie auf schmerzhaft vertraute Weise an den Aufzug im Apartment drüben in ihrer Heimat - ihr Apartment, das ihr jetzt wohl nicht mehr gehörte, sodass Miranda sich zusammenreißen musste, um nicht sofort loszuheulen. Als sie ihr Spiegelbild in den Spiegeln direkt gegenüber des Eingangs erblickte, war sie erschrocken, aber es war nur konsequent, dachte sie dann: eine Frau kurz vor dem nervlichen Zusammenbruch sieht niemals aus wie ein Model aus einer Modezeitschrift, es sei denn im Film oder in sonstigen blödsinnigen Machwerken, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun hatten.
Sie wusste aber, dass die Zeit alle Wunden heilen konnte.
Bestimmt konnte sie das. Also reiß dich zusammen, dachte sie. Und nun macht schon. Ich will in das Zimmer, egal welches, hier auf dem Schlüssel steht eine Zwei, eine Drei und eine Null, aber das ist mir gleich, ich will nur ins Bett, mir die Decke über den Kopf ziehen, nichts mehr hören und schlafen, schlafen ... eine Woche ist es nun her, eine Woche ist vergangen und noch immer hast du ihn nicht vergessen! Verdammt, reiß dich zusammen!
»Ich kann Ihnen damit helfen.«
Miranda blickte auf, aus ihren Gedanken gerissen. »Was?«
»Ihr Koffer. Ich kann Ihnen damit helfen.«
»Oh.« Vor ihr stand der ältere Herr in seinem altenglischen Tweedanzug, der vor ihr in den Lift gestiegen war. »Danke.«
Ein echter, englischer Gentleman, einer aus einer alten, längst vergessenen Schule. Miranda erkannte an seinem Akzent, dass er aus dem Süden Englands kam, es musste die Gegend um Cornwall sein, vielleicht gar nicht weit von ihrer Heimat entfernt. Als er ihren Koffer in die Hand nahm, sah sie auch, dass er Probleme beim Gehen hatte und das linke Bein leicht nachzog. Aber er hatte den Lift kaum erreicht, eilte ein Hotelangestellter herein, der ihm den Koffer abnahm.
Miranda stieg in den Lift und lehnte sich gegen die Rückwand. Der Lift vibrierte sanft, als er nach oben kletterte. Mit ihr und dem Herren in Tweed fuhr ein Mann nach oben, der sich die ganze Fahrt über am Griff seiner Tasche festklammerte. Er hatte dunkle, seidig glänzende Haare, um die ihn manche Frau beneidet hätte. Seine Hautfarbe war von erhabenem Kupfer. Ein Indianer. Oder zumindest ein Mann mit indianischen Wurzeln.
Miranda fing den Blick des Mannes auf: Sie konnte dort das ablesen, was sie selbst fühlte. Neugierde und jenes eigenartige Gefühl, das von einem Besitz ergriff, wenn man in einem unbekannten Land zu Gast in einem Hotel war. Der hohe Norden Amerikas war für eine Engländerin aus dem Süden durchaus ein unbekanntes Land.
Neben ihnen standen die zwei Hotelpagen, die sich um die Koffer und Taschen kümmerten. Ihre Blicke waren desinteressiert, wie Miranda fand. Als der Aufzug ankam und die Türen zur Seite glitten, war der Blick frei auf einen Flur, dessen Holztäfelung an die Einrichtung eines alten englischen Herrenhauses erinnerte (auch wenn die meisten Schotten diesen Vergleich nicht hätten hören wollen, bedenkt man ihre Abneigung gegenüber den Engländern, aber es war offensichtlich, woher die Erbauer um Colin Larches ihre Ideen mitgebracht hatten) - und der Geruch, der in der Luft lag, war alt und gediegen.
»Zimmer 19«, sagte der Herr im Tweed, nickte Miranda zu und humpelte hinaus, von einem der Jungen begleitet.
Miranda blickte auf den kleinen goldenen Schlüssel, den sie zwischen Daumen und Zeigefinger hielt. 23.
»Noch ein Stockwerk, bitte.«
»Selbstverständlich, Ma‘am«,
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