Der Pakt - Rügen Thriller
seinem Büro in München-Bogen hausen saß, um riesige Kapitalströme zu dirigieren, war seine Villa am Starnberger See relativ leicht einzunehmen. Jedenfalls für jemanden, der über einen Haustürschlüssel verfügte und den Sicherheitscode der Alarmanlage kannte.
Juli hatte ihren Wagen einen Kilometer entfernt in einem Waldstück stehen lassen und war das letzte Stück zu Fuß gegangen. Sie besaß auch einen Schlüssel für das hohe Stahltor, hatte sich aber dafür entschieden, an einer von der Straße und den Nachbargrundstücken nicht einsehbaren Stelle über den Zaun zu klettern. Vor den Überwachungsbildschirmen im Inneren der Villa saß derzeit niemand, wie sie wusste.
Nachdem sie sich ein Paar Gummihandschuhe übergestreift hatte, öffnete Juli mit Tankas Schlüssel die massive Eingangstür. Einen Moment später ertönte der leise summende Warnton der Alarmanlage. Auf einem roten Display in der Eingangshalle begann ein Countdown. Nun blieben ihr dreißig Sekunden. Mehr als genug, wenn der Code seit Tankas Einweisung ins Krankenhaus nicht geändert worden war.
Sechs. Sieben. Eins. Neun. Sieben.
Mit angehaltenem Atem tippte Juli den Code ein und stieß erleichtert die Luft aus, als das Summen abbrach. Auf dem Display leuchtete anstelle der roten Zahlen ein freundliches grünes Welcome! auf.
Juli absolvierte einen schnellen Rundgang durchs Erdgeschoss, um sich zu vergewissern, dass tatsächlich niemand da war. Dann begab sie sich in die obere Etage. Auch hier inspizierte sie alle Räume, ehe sie sich dem Schlafzimmer zuwandte. Es war größer als ihr gesamtes Apartment. Das Kingsize-Bett stand vor einem breiten Fenster mit Blick auf den Starnberger See. Eine Verbindungstür führte ins Wohnzimmer, aber Juli interessierte sich mehr für das auf der anderen Seite angrenzende Bad.
Sie fragte sich, ob der Hausherr hier ein paar Erbstücke unterbringen musste oder doch seinem persönlichen Geschmack Ausdruck verliehen hatte. Denn der terrakottafarbene Kachelofen und eine in der Mitte des Raumes stehende gusseiserne Wanne mit Füßen, die Löwentatzen nachempfunden waren, verliehen dem Raum etwas Altertümlich-Rustikales. Die aufwändigen Mosaikkacheln an den Wänden und mehrere große, goldgerahmte Spiegel vervollständigten diesen Eindruck. Die Decke war in Zinnoberrot gehalten.
Ein Versteck bot das Bad leider nicht. Juli beschloss, hinter der Tür Stellung zu beziehen. Sie warf einen Blick auf die Uhr. Kurz nach fünf. Lieber verließ das Büro wahrscheinlich nicht vor sieben oder acht. Zeit genug also, um noch einmal hinunterzugehen.
Auf der dunklen Holztreppe blieb sie stehen.
Hier war der kleine Anton in den Tod gestürzt. Was die Zeitungen nicht berichtet hatten, nicht berichten konnten, weil selbst die Polizei davon nichts wusste, waren die tatsächlichen Umstände dieses Unglücks. Bei ihrem Besuch im Krankenhaus hatte Juli Tankas immer wieder von Weinkrämpfen unterbrochener Schilderung gelauscht, wie Anton die Treppe hinaufgeeilt war, voller Eifer, weil im Fernsehen gleich seine Lieblingsserie beginnen würde. Dabei hatte er ein Glas mit Cola fallen lassen. Die schäumende Flüssigkeit war in alle Richtungen gespritzt. Leider auch auf die weiße Gabardinehose von Bernhard Lieber, der ge rade von oben herunterkam. Voller Wut hatte er seinem Sohn eine kräftige Ohrfeige versetzt. Anton verlor das Gleichgewicht, stürzte die Treppe hinunter und schlug mit dem Kopf auf dem Boden auf. Er war seinen Schädelverletzungen erlegen, ehe der Notarzt eintraf.
»Ich hätte mich von Bernhard trennen müssen«, hatte Tanka verzweifelt geflüstert. »Schon vor vielen Jahren. Dann würde Anton jetzt noch leben.«
Sie lag in einem Einzelzimmer mit heruntergelassenen Jalousien, ganz so, als wäre Dunkelheit alles, was das Leben nach dem Tod ihres Sohnes noch für sie bereithielt.
»Warum haben Sie es nicht getan?«, fragte Juli, ihre Stimme kälter und vorwurfsvoller, als sie es beabsichtigt hatte. »Anlässe gab es doch mehr als genug.«
Tanka sah sie an. »Ich war jung, als ich Bernhard kennenlernte, eine kleine Verkäuferin in einem Juweliershop in Schwabing. Er lud mich zum Essen ein. Sie können sich das vielleicht nicht vorstellen. Ich war nie zuvor einem Mann wie ihm begegnet. Schon die Art, wie er sprach, wie er sich kleidete, wie er … mich berührte. Er war älter, hatte so viel Erfahrung, in allem. Er kaufte mir Blumen, mietete mir ein neues Apartment, trug mich buchstäblich auf Händen.
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