Der Pakt - Rügen Thriller
Überraschungsmoment auf ihrer Seite.
Sie packte Lieber am Rücken und am Hals. Dann schlug sie ihm das rechte Bein weg und zog ihn nach hinten. Es war eine spezielle Variante eines Ko-Uchi-Gari, der kleinen Innensichel. Lieber stieß einen halblauten Schreckensschrei aus. Für ein paar Hundertstelsekunden lag er wie eine Frau beim Tanz in Julis Armen. Seine Beine schnellten nach oben. Verzweifelt ruderte er mit den Händen, während Juli sich leicht nach rechts drehte. Trotz der Anstrengung atmete sie ruhig und gleichmäßig. Als Liebers Genick über dem gusseisernen Wannenrand schwebte, drückte sie ihn mit der rechten Hand kräftig nach unten. Es gab ein unangenehm knacken des Geräusch, so als würde man einen starken Ast abbrechen.
Bernhard Lieber teilte das traurige Schicksal seines Sohnes, wobei Juli hoffte, dass sein Weg direkt in die Hölle führen würde.
Nach einem prüfenden Blick in die gebrochenen Augen ihres Opfers ließ sie den Körper fallen und verließ das Bad, um durchs Schlafzimmer in Richtung des Wohnzimmers zu eilen. Sie musste damit rechnen, dass der Schrei oder der dumpfe Aufprall im darunterliegenden Stockwerk zu hören gewesen war. Auf eine Begegnung mit einem ihrer früheren Kollegen war sie naturgemäß nicht erpicht.
Tatsächlich wurde schon wenige Momente später an die Tür des Schlafzimmers geklopft.
»Herr Lieber?«, hörte sie eine Stimme mit starkem Akzent. »Alles in Ordnung?« Es war nicht Georg, sondern ein anderer Bodyguard, Radomir, ein Serbe, mit dem Juli allerdings nie näher zu tun gehabt hatte.
Als er keine Antwort bekam, öffnete Radomir langsam die Tür. »Herr Lieber, ist alles in Ordnung? Ich komme jetzt herein.«
Als Juli davon überzeugt war, dass ihr Ex-Kollege das Schlafzimmer betreten hatte, verließ sie das Wohnzimmer. Der noch immer laufende Fernseher übertönte alle Geräusche, die sie dabei verursachte. Sie eilte die Treppe hinunter, schaltete im Überwachungsraum mit wenigen Handgriffen sowohl die Alarmanlage als auch die Überwachungskameras aus und suchte das Weite.
Einige Wochen später fuhr sie zum Münchner Hauptbahnhof.
In der überfüllten Eingangshalle kam ihr eine Frau mit Sonnenbrille und einem breitkrempigen Sommerhut entgegen. Niemand bemerkte, dass sie Juli im Vorbeigehen einen Schlüssel für ein Schließfach in die Hand drückte. Juli entnahm ihm wenige Minuten später eine Ledertasche mit zweihunderttausend Euro in kleinen, nicht durchgehend nummerierten Scheinen. Tanka Lieber, Witwe und Alleinerbin des auf tragische Weise ums Leben gekommenen Fondsmanagers Bernhard Lieber, hatte sich erkenntlich gezeigt.
Und so den Grundstein für Julis neue Karriere gelegt.
31
Das Windwood Spa öffnete um acht Uhr, aber Juli ging davon aus, dass so früh noch keine Angestellte draußen vor der Tür saß. Natürlich lag schon die Liste bereit, in der sich die Gäste eintrugen. Doch im Spa war am Morgen noch nicht allzu viel los, weshalb der Marmortresen frühestens ab zehn besetzt sein würde, vielleicht sogar erst ab Mittag.
Als Juli kurz vor acht Rückers Zimmer verließ, entschied sie sich wiederum gegen den Fahrstuhl und für das Treppenhaus. Sie trug die blonde Perücke, Hotelbadeschlappen und einen dünnen, eng anliegenden Stretchanzug, den sie später gegen den Bademantel austauschen würde. Der steckte jetzt in einer Plastiktüte mit dem Logo des Hotels, die sie unter dem Arm hielt.
Es war nicht Julis erster Ausflug an diesem Tag. Gegen sieben war sie bereits in die Tiefgarage gegangen, um ihren Rucksack auf dem Beifahrersitz des Toyotas zu deponieren. Später würde alles sehr schnell gehen müssen. Sie konnte es sich nicht leisten, Zeit mit der Rückkehr ins Zimmer zu verschwenden. Deshalb wollte sie dort nichts zurücklassen. Alles, was sie in den nächsten Stunden brauchte, befand sich zusammen mit dem Bademantel in der Plastiktüte: ein dunkles Seidentuch, eine große Sonnenbrille, eine schwarze Lockenperücke und vor allem ein extra langes USB-Ladekabel. Die Stecker an beiden Enden waren abgeschnitten.
In der zweiten Etage lugte Juli vorsichtig durch die Tür des Treppenhauses. Wie sie erwartet hatte, war es um diese Zeit noch relativ ruhig. Hinter dem Tresen saß niemand. Im Fitnessstudio standen zwar die ersten Gäste auf den Laufbändern, aber sie wandten ihr den Rücken zu und starrten auf einen Bildschirm, der irgendwo über ihnen flimmerte.
Blitzschnell huschte Juli zum Eingang des Spa. Vorsichtig schaute sie hinein.
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