Der Pakt
sie über die Hand gefaltet hatte und an seine Brust presste wie ein Badetuch. Er rannte nicht. Aber er war bereit, jeden Moment loszurennen. Ich wusste sofort, das war mein Mann.
Ich wollte ihm etwas nachrufen, fürchtete aber, dass er dann türmen oder schießen würde. Ich hatte keine Ahnung, was er vorhatte. Und schon gar nicht war ich darauf gefasst, dass er die mit einem roten Teppich bedeckten Stufen meines Hotels hinaufeilen würde, wobei er geschickt den Mann umkurvte, der dort schon den ganzen Tag obszöne Postkarten verhökerte. Der Postkartenverkäufer hatte einen Ruf zu verlieren. Noch einmal würde er sich nicht umgehen lassen. Er musste hier schließlich seine Brötchen verdienen. Als ich mich der Kante des roten Teppichs näherte, wirbelte er herum, hielt mir seine obszöne Ware direkt vor die Nase, brachte mich so zum Stehen und setzte dann seinen gesamten übel riechenden Körper ein, um mir zuerst die eine, dann die andere Fluchtmöglichkeit zu versperren. Als er mich zum dritten Mal abblockte, stieß ich ihn fluchend aus dem Weg.
In der Hotelhalle sah ich mich um, aber der Schütze war nirgends zu entdecken. Ich ging an die Rezeption. Der Portier eilte mit einem strahlenden Lächeln herbei.
»Haben Sie hier gerade einen Mann hereinkommen sehen?
Europäer, um die dreißig, beigefarbener Anzug, Panamahut, braunweiße Schuhe? Mit einer gefalteten Zeitung überm Arm?«
Der Portier zuckte die Achseln und schüttelte den Kopf.
»Nein, tut mir Leid, Sir. Aber da ist eine Botschaft für Sie, Professor Mayer.«
»Danke.«
364
Ich sah in der Bar nach. Ich sah in der Long Bar nach. Ich sah im Speisesaal nach. Ich sah sogar in der Herrentoilette an der Hotelhalle nach. Aber von dem Mann mit der Zeitung keine Spur. Ich ging hinaus und die Treppe wieder hinunter. Der Postkartenmann sah mich und wich ängstlich zurück. Ich lächelte, entschuldigte mich und gab ihm eine Hand voll von dem Butterbrotpapier, das sie hier Geld nannten. Er grinste zurück. Ich hatte seinen Abend gerettet. Noch so ein Trottel von Amerikaner, dem er ein paar Geldscheine aus dem Portemonnaie gezogen hatte.
365
DIENSTAG, 23. NOVEMBER 1943
–––––––––––––
KAIRO
COOGAN HOLTE MICH UM ACHT UHR FÜNFZEHN am Shepheard ab, und wir fuhren nach Westen. In den Ezbekiya-Gärten liefen Polizisten herum. Auf dem grünen Rasen und mit den weißen Uniformen wirkte das Ganze eher wie ein Cricketmatch als wie eine Tatortuntersuchung. Vermutlich war es auch genauso undurchschaubar.
»Erschossen, genau zwischen die Augen, letzte Nacht so um halb drei, als das Freiluftkino gerade aus war«, sagte Coogan.
»Ein Kairoer Geschäftsmann anscheinend. Natürlich hat niemand etwas gesehen oder gehört. Und die Polizei weiß gar nichts. Was aber nicht weiter erstaunlich ist.« Er lachte. »Die Kairoer Polizei weiß nie etwas. Hier in Kairo leben fünf Millionen Menschen. Einen Mörder in dieser Stadt zu finden, ist wie die Sache mit der Nadel im Heuhaufen.«
Es gab eine ganze Reihe Gründe, warum ich es für das Beste gehalten hatte, kein Wort darüber zu verlieren, was in der Nacht passiert war. Ein Grund war, dass FDR, Hopkins und Donovan wohl kaum entzückt wären, wenn ein Mitglied der Delegation es mit der hiesigen Polizei zu tun bekam. Ein zweiter war, dass ich nach dem Zusammenstoß mit dem Secret Service in Tunis nicht noch weiter auffallen wollte. Aber der Hauptgrund für mein Schweigen war, dass ich keine Beweise für das hatte, wovon ich jetzt überzeugt war: dass der Anschlag auf mich mit Ted Schmidts Tod zu tun hatte. Teds Mörder hatte sich wohl gesagt, dass ein weiterer Todesfall auf der Iowa nur Verdacht wecken würde. Und dass es viel leichter wäre, mich in Kairo umzubringen.
366
Wir fuhren über die English Bridge, dann nach Süden, Richtung Gizeh. Der urbane Teil Kairos wich Lehmziegeldörfern, stinkenden Kanälen und abgeernteten Bohnenfeldern. Wir passierten die Universität und den Kairoer Zoo sowie ganze Karawanen von Nutztieren auf der Straße nach Gizeh: Esel, die gegen den bösen Blick mit blauen Perlen geschmückt waren, Schafherden, dürre Pferde vor Gharrys, uralten offenen Wagen, die den gesamten Touristenverkehr in Kairo aufrecht erhielten, und ein-, zweimal auch Kamele, so üppig mit Palmwedeln beladen, dass sie aussahen wie der Wald von Birnam, der sich auf Dusinane zubewegt. Es wäre ein buntes Treiben gewesen, hätte da nicht dieses stumpfe weiße Licht über der Stadt gehangen und
Weitere Kostenlose Bücher