Der Pakt
das Sudetenland will, dann deshalb, weil er glaubt, dass er es als Bollwerk gegen eine neue russische Invasion braucht. Vielleicht haben die Tschechen ja vergessen, was Trotzki ihnen angetan hat, als er 1918 ihre Armee in Sklavenarbeiterbataillone verwandeln wollte. Ich sage dir, Willy, sie würden nicht zögern, das wieder zu tun. Die Nazis sind ein übler Haufe, aber die Bolschewiken sind das Böse schlechthin. Deshalb wurde Hitler ja überhaupt gewählt. Weil die Leute schreckliche Angst hatten, dass die Roten in Deutschland die Macht übernehmen könnten. Du wirst mir also nicht einreden können, dass am Kommunismus irgendetwas Gutes ist. Das mag ja alles gut klingen, vom Prinzip her, als Ideal. Aber meine Familie hat die Praxis erlebt, und die ist schlichtweg bestialisch.«
Etwas gegen die Russen zu haben war eine Sache, für die Nazis zu spionieren eine ganz andere. Es gab nur eins: Um Gewissheit zu bekommen, musste ich Elenas Haus durchsuchen.
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Wenn es da Fotos von Major Reichleitner in einem Album gab, gab es ja vielleicht noch weitere Hinweise, ob und, wenn ja, in welcher Form Elena für die Abwehr arbeitete.
Elena setzte sich auf, küsste mich flüchtig und ging wieder ins Bad.
Ich nahm mir das Fotoalbum wieder vor. Ich wollte wissen, was sie sagen würde, wenn sie mich die Fotos betrachten sah.
Die von ihr und Reichleitner. Es wäre sicher aufschlussreich, ihre Erklärung zu hören. Aber als sie wieder aus dem Bad kam, zuckte sie mit keiner Wimper.
»Entschuldige«, sagte ich. »Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, hier hineinzuschauen. Ich dachte wohl, da wäre vielleicht das eine oder andere Foto von uns beiden drin, noch aus Berlin.«
»Die sind in einem anderen Album«, sagte sie gelassen. »Ich zeig’s dir später. Wird Zeit, dass du dich fertig machst. Ich dachte, wir könnten in den Club gehen und einen Happen essen.
Aber dafür musst du dich umziehen. Wir können ja bei deinem Hotel vorbeifahren.«
»Wer ist der Mann im weißen Anzug?«, fragte ich, während ich das Album weglegte und ins Bad ging.
»Sag nicht, du bist eifersüchtig«, sagte sie und schlüpfte in ihre Unterwäsche.
»Natürlich bin ich eifersüchtig. Du bist das Beste, was mir passiert ist, seit dieser Krieg angefangen hat. Und jetzt muss ich feststellen, dass ich noch einen Rivalen habe.«
»Verlass dich drauf, er ist keine Gefahr für dich.«
»Ich weiß nicht. Auf den Fotos wirkt euer Verhältnis ganz schön innig. Und außerdem sieht er gut aus.«
»Max? Ja, mag sein«, sagte Elena achselzuckend. Sie setzte sich auf die Bettkante und begann, Seidenstrümpfe ihre Beine hinaufzurollen. »Eine Zeit lang war es schon so zwischen uns.
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Innig, wie du sagst. Aber es hat nicht lange gedauert. Er war ein polnischer Offizier aus Sikorskis Stab. Aus Posen. Ein exotischer Vogel.«
»Ach? Inwiefern?«
»Ein Deutsch sprechender Pole, der für die polnische Armee kämpft. Das ist doch exotisch.«
»Und wo ist er jetzt?«
»Ich weiß nicht genau. Ich habe ihn seit Monaten nicht mehr gesehen. Seit dem Sommer, würde ich sagen. Max hat viel für die SOE gearbeitet. In Jugoslawien. Jedenfalls hat er mir das gesagt.«
Ich nickte. Gute Antworten, dachte ich – und sie hatten den Vorzug, vielleicht sogar wahr zu sein.
Elena befestigte ihre Strümpfe am Strumpfhaltergürtel, öffnete ihren Kleiderschrank und musterte ein Arsenal absolut tödlicher Abendkleider. Sie nahm eins heraus und zog es an. Dann sah sie wieder auf die Uhr. »Beeil dich«, sagte sie.
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MITTWOCH, 24. NOVEMBER 1943
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IRAN
IM SÜDLICHSTEN TEIL TEHERANS waren die Straßen eng und gewunden, im Nordteil gab es fast nur breite Prachtstraßen.
Medizadeh, der Ringkämpfer, der als Führer und Dolmetscher der Gruppe Nord fungierte, erklärte, durch den vorigen Schah sei viel vom Charakter der Stadt zerstört worden. Doch der Kommandeur der Gruppe Nord, Hauptsturmführer Oster, dachte, dass Schah Rezas Modernisierungsmaßnahmen auch nicht viel an der ungünstigen Lage der Stadt änderten. Bis zum nächsten Fluss waren es vierzig Kilometer, was bedeutete, dass Trinkwasser immer knapp war. Zwei von Osters Männern waren vom hiesigen Wasser bereits krank geworden.
Und kalt war es auch, viel kälter, als sie gedacht hatten. Oster fand, dass Berlin diesen Umstand hätte kennen müssen.
Shimran, der Nordteil Teherans, lag an den Hängen des Elburz-Gebirges, dessen höchster Gipfel immerhin über
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