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Der Pakt

Der Pakt

Titel: Der Pakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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freie Meinungsäußerung, und doch ist Frankreich das antisemitischste Land in Europa. Sie weigern sich, ihre Kolonien herzugeben, und erwarten, dass Russland und Amerika, zwei Nationen, die selbst das Joch des Imperialismus abgeschüttelt haben, ihnen helfen, sie wiederzuerlangen. Und was bieten sie dafür? Ein paar Flaschen guten Wein, ein bisschen Käse und vielleicht das Lächeln eines hübschen Mädchens?«
    Stalin grinste. »Ich neige da zu Herrn Hitlers Meinung«, sagte er. »Ich sehe keinen vernünftigen Grund, warum Frankreich bei offiziellen Friedensverhandlungen mit Deutschland irgendeine Rolle eingeräumt werden sollte. Ich stimme ganz mit dem überein, was der Führer vorhin sagte. In meinen Augen hätte es gar keinen neuen Krieg gegeben, wenn Frankreich nicht darauf bestanden hätte, Deutschland für den vorigen zu bestrafen.
    Außerdem ist die gesamte herrschende Klasse Frankreichs bis ins Mark verrottet.«
    Ich wünschte, Stalin würde noch weiterreden, denn für mich bedeutete das eine kleine Ruhepause. Roosevelt war leicht zu übersetzen, denn er teilte seine Rede in kleine Portionen auf, was eine gewisse Rücksicht auf seine Dolmetscher zeigte. Hitler hingegen ließ sich von seiner eigenen Eloquenz viel zu sehr hinreißen, um groß auf Ribbentrop zu achten, der doch einige Mühe hatte, die Worte zu finden, die Hitlers Gedanken auf Englisch wiedergaben. Ich hatte mich sogar genötigt gesehen, helfend einzuspringen. Und schließlich hatte Ribbentrop, sichtlich erschöpft, ganz aufgegeben und die gesamte Übersetzerei zwischen Hitler und Roosevelt mir überlassen.
    Roosevelt hatte seit Beginn der Verhandlungen Kette geraucht und bekam jetzt einen plötzlichen Hustenanfall. Er langte nach 504

    der Wasserkaraffe, die vor ihm stand, stieß sie aber versehentlich, um. Bohlen und ich hatten unser gesamtes Wasser bereits getrunken, und als Hitler Roosevelts missliche Lage erkannte, goss er ein Glas aus seiner eigenen Karaffe voll, stand rasch auf und brachte es dem immer noch hustenden Roosevelt um den Tisch herum. Stalin tat dasselbe von der anderen Seite, war aber langsamer.
    Der Präsident nahm das Glas von Hitler entgegen, doch als er es an die Lippen setzen wollte, stürzte Agent Pawlikowski vor und schlug es ihm aus der Hand. Ein paar Spritzer Wasser trafen mich, aber das meiste ergoss sich auf Roosevelts Hemd.
    Im ersten Moment dachten alle, der Secret-Service-Agent sei übergeschnappt. Dann sprach Ribbentrop aus, was inzwischen jedem im Raum dämmerte. Er hob Hitlers Karaffe hoch, schnupperte argwöhnisch daran und sagte in seinem kanadisch gefärbten Englisch: »Stimmt etwas nicht mit diesem Wasser?«
    Er sah zuerst Stalin an, dann Molotow und schließlich Stalins Leibwächter Wlasik und Poskrebyschew, die beide nervös grinsten. Einer von ihnen sagte etwas auf Russisch, was Pawlow, der sowjetische Dolmetscher, schleunigst übersetzte.
    »Das Wasser ist tadellos. Es wurde frisch aus der britischen Botschaft geholt. Heute früh.«
    Roosevelt hatte sich in seinem Rollstuhl umgedreht und sah Pawlikowski entsetzt an. »Was zum Teufel soll das, John?«
    »John«, sagte Reilly ruhig. »Ich glaube, Sie sollten sofort den Raum verlassen.«
    Pawlikowski zitterte wie Espenlaub. Da ich direkt vor ihm saß, sah ich, dass sein Hemd beinahe so nass war wie das von Roosevelt, allerdings von Schweiß. Der Secret-Service-Agent seufzte und sah Roosevelt fast schon bedauernd an. Im nächsten Moment zog er seine Waffe und zielte auf Hitler.
    505

    »Nein!«, rief ich, sprang auf und drückte Pawlikowskis Arm samt Pistole empor, sodass der Schuss, als er sich löste, in die Decke ging.
    Während ich Pawlikowski auf den Tisch niederrang, sah ich aus dem Augenwinkel, wie Stalins Leibwächter das russische Staatsoberhaupt zu Boden rissen und andere Wachen in Deckung hechteten. Pawlikowski gab einen zweiten Schuss ab.
    Ein dritter folgte. Dann erschlaffte Pawlikowski und glitt zu Boden. Ich richtete mich auf und sah Mike Reilly über dem hingestreckten Agenten stehen, einen rauchenden Revolver in der Hand. Als er erkannte, dass sein Kollege nicht tot war, trat er ihm die Automatik aus der Hand.
    »Einen Krankenwagen«, rief er. Dann sah er, dass Hitlers und Stalins Leibwächter ebenfalls die Waffen gezogen hatten und jetzt auf ihn zielten, für den Fall, dass er sich ebenfalls bemüßigt fühlen sollte, auf einen der beiden Diktatoren zu schießen.
    Vorsichtig steckte Reilly die Waffe weg. »Ganz ruhig«, sagte er.
    »Es

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