Der Pakt
und hatte sogar seine beiden schlechten Angewohnheiten unter Kontrolle: das zwanghafte Zupfen an seiner Nackenhaut und das Herumkauen an den Nagelhäuten seiner Daumen und Zeigefinger. Himmler war sich nicht sicher, hielt es aber sogar für möglich, dass Hitler auf seine morgendliche Kokainspritze verzichtet hatte. Das war schon fast wieder der alte Hitler, der Hitler, der 1938 die Franzosen und die Briten nach seiner Pfeife hatte tanzen lassen. Was im Vorfeld noch schwer vorstellbar gewesen war, jetzt aber deutlich zutage trat, waren die Differenzen zwischen den Alliierten: Dass Churchill sich weigerte, mit Hitler zu verhandeln oder ihn auch nur treffen, war ja noch verständlich, dass aber Roosevelt und Stalin sich nicht auf eine gemeinsame Position geeinigt hatten, ehe sie sich mit dem Führer an einen Tisch setzten, verblüffte Himmler. Das hätte er nie zu hoffen gewagt, als sie aus Ostpreußen nach Teheran abgereist waren und es einem Stenographen namens Heinrich Berger überlassen hatten, in der Wolfsschanze Hitler zu verkörpern, während Bormann faktisch 499
die Kontrolle über das Reich übernahm. Die Russen hatten sich, das musste er zugeben, überaus gastfreundlich gezeigt.
Ribbentrop sagte, Molotow und Stalin seien genauso freundlich wie damals, 1939, als er in Russland gewesen war, um den Nichtangriffspakt zuwege zu bringen. Und ihre Sicherheits- und Geheimhaltungsmaßnahmen waren, wie erwartet, ausgezeichnet.
Niemand verstand sich besser auf Geheimhaltung und auf die Manipulation der öffentlichen Wahrnehmung als die Russen.
Geheimhaltung war natürlich auch der Grund gewesen, weshalb Stalin auf Teheran als Konferenzort bestanden hatte. Diese Friedensgespräche hätten sich nirgendwo anders arrangieren lassen, außer vielleicht in Russland selbst. Man brauchte sich ja nur anzusehen, wie es bei den Gesprächen der Alliierten in Kairo um die Geheimhaltung gestanden hatte, dachte Himmler.
Dennoch war es seine Idee gewesen, Schellenbergs Unternehmen Großer Sprung zu benutzen, um den Russen den guten Willen der Deutschen zu beweisen. Diese Männer dem NKWD preiszugeben, war zwar bedauerlich gewesen, aber dann doch durch die Erkenntnis erleichtert worden, dass das Kommando zum größten Teil gar nicht aus Deutschen bestand, sondern aus ukrainischen Freiwilligen. Diese Leute kümmerten Himmler nicht, also hatte er sie ohne Skrupel an das NKWD
verraten können. Und die Handvoll eigenmächtiger deutscher Offiziere und Unteroffiziere würde, Schellenberg auf dem Gewissen haben, nicht er.
Natürlich hatte die herzliche Aufnahme durch die Russen viel mit den zehn Millionen Dollar in Gold zu tun, die heimlich von deutschen Bankkonten in der Schweiz auf die der Russen transferiert worden waren. Wie Recht der Führer doch gehabt hatte: Russland war geradezu der Inbegriff eines kapitalistischen Staates, mit einem Mann an der Spitze, der alles tun, jedes Opfer bringen und sich in jeder Weise korrumpieren lassen würde, nur um seiner fixen Idee willen. Und ungeachtet dessen, was Hitler vor Roosevelt gesagt hatte, war er längst darauf eingestellt, 500
Stalin einen »Bonus« von fünfzig Millionen Dollar zu zahlen, wenn es in Teheran zu einem Friedenskompromiss kam. Das war nur ein Trinkgeld, gemessen an dem, was Deutschland an Gold auf Schweizer Bankkonten liegen hatte.
»Letzten Endes«, hatte Hitler Himmler bei ihren Vorbereitungsgesprächen in der Wolfsschanze erklärt, »ist Stalin nichts als ein Plutokrat, der auf die nächste Gelegenheit zum Absahnen wartet. Allein deshalb weiß man bei den Russen immer, woran man ist. Sie sind Realisten.«
Realisten? Ja, dachte Himmler, bei den Russen wusste man immer, woran man war. Für Geld würden sie alles tun. Aber er würde auf gar keinen Fall zulassen, dass Göring die Macht übernahm, wie es Stalin vorgeschlagen hatte. Den Reichsmarschall hasste Himmler fast so sehr wie Bormann, und er hatte nicht seinen Hals riskiert und den Führer überredet, persönlich an dieser Konferenz teilzunehmen, nur damit er jetzt zusehen musste, wie das fette Schwein Deutschland übernahm.
In manchem, dachte er, waren die Briten genau wie die Russen. So berechenbar. Vor allem Churchill.
Höchstwahrscheinlich hatte der britische Premierminister Angst, sobald ein Frieden mit Deutschland unterzeichnet wäre, würde das großzügige Angebot, das Hess Großbritannien 1940
gemacht hatte – Frieden ohne jegliche Bedingungen –, öffentlich werden, und es käme zu einem Aufschrei
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