Der Pakt
ist vorbei.«
Gelassen hob Reilly Pawlikowskis Automatik auf, sicherte sie, warf das Magazin aus und legte beides auf den Konferenztisch.
Allmählich kehrte im Raum wieder Ordnung ein.
Kriminaldirektor Högl, der für Hitlers persönlichen Schutz zuständig war, steckte als Erster die Waffe wieder weg. Wlasik tat es ihm nach. Pawlikowski, der aus einer Rückenwunde stark blutete, wurde von den Agenten Qualter und Rauff eilig hinaustransportiert.
Ich setzte mich auf meinen Stuhl und starrte auf das Blut an meinem Ärmel. Erst nach ein paar Sekunden merkte ich, dass jemand direkt vor mir stand. Ich hob den Blick, von den blank geputzten schwarzen Schuhen über die dunkle Hose, den schlichten, braunen Uniformrock und das weiße Hemd mit Krawatte bis zu Hitlers wasserblauen Augen. Instinktiv stand ich auf.
506
»Junger Mann«, sagte Hitler, »ich verdanke Ihnen mein Leben.« Und noch ehe ich etwas sagen konnte, schüttelte er mir mit einem breiten Lächeln die Hand. »Ohne Ihr entschlossenes Eingreifen hätte mich dieser Mann sicher erschossen.« Dabei wippte der Führer leicht auf den Zehenspitzen, wie jemand, für den das Leben plötzlich neue Würze hat. »Ja, Sie haben mir das Leben gerettet. Und aus der Sache mit dem Wasserglas muss ich wohl schließen, dass dieser Mann zuvor bereits versucht hat, mich zu vergiften. Was sagen Sie, Herr Präsident?«
Roosevelt nickte. »Ich bitte vielmals um Verzeihung, Herr Hitler«, sagte er, jetzt wieder auf Deutsch. »Allem Anschein nach haben Sie Recht. Dieser Mann wollte Sie töten. Was mich zutiefst, beschämt.«
Stalin war ebenfalls bereits dabei, sich in seiner Eigenschaft als Gastgeber zu entschuldigen.
»Lassen Sie es gut sein, meine Herren«, sagte Hitler, der immer noch meine Hand festhielt. »Wie heißen Sie?«, fragte er mich.
»Mayer, Herr Reichskanzler. Willard Mayer.«
Und während Hitler noch meine Hand umfasst hielt, überkam mich plötzlich die Erkenntnis, was wir beide waren, der Führer und ich: zwei Männer, für die Moral keine reale Bedeutung hatte, für die die humanitären Werte und die Welt der Ideen nicht wirklich von Belang waren. Hier stand die konsequente Erweiterung all dessen, woran ich als logischer Positivist glaubte. Hier stand ein Mann ohne Werte. Und plötzlich erkannte ich den Bankrott all meiner intellektuellen Strebungen, die Bedeutungslosigkeit aller Bedeutungen, die ich zu finden versucht hatte. Das war die Wahrheit Hitlers und des strikten Materialismus: Es hatte alles absolut nichts mit Menschlichkeit zu tun.
»Danke«, sagte Hitler und drückte meine Hand. »Ich danke Ihnen.«
507
»Schon gut, Herr Reichskanzler«, sagte ich mit einem gezwungenen Lächeln.
Endlich ließ mich der Führer los. Das war für Hopkins das Signal zu erklären, dass dies doch der geeignete Zeitpunkt sei, die Verhandlungen für eine Weile zu unterbrechen. »Ich schlage vor«, sagte er, »in der Pause studieren wir die Dokumente, die wir zur Untermauerung unserer jeweiligen Verhandlungsposition erstellt haben. Willard?« Mit einer Kopfbewegung deutete er auf eine Akte, die auf dem Tisch lag.
»Würden Sie das bitte dem Führer übergeben?«
Ich nickte benommen und übergab Hitler die Akte.
Die drei Delegationen begaben sich langsam zu dreien der vier Türen des Raums. Erst jetzt fiel mir auf, dass der Raum darauf angelegt war, dass ihn vier Delegationen durch vier getrennte Eingänge und vermutlich auch von vier getrennten Datschas auf dem Botschaftsgelände aus betreten konnten.
»Moment mal«, sagte Hopkins, als die amerikanische Delegation sich der Tür näherte, durch die sie gekommen war.
»Ich habe die amerikanischen Positionspapiere immer noch in der Hand. Was war das, was Sie dem Führer gegeben haben, Willard?«
»Ich weiß nicht. Es muss wohl die Beketowka-Akte gewesen sein«, sagte ich.
»Dann ist ja weiter nichts passiert«, sagte Hopkins. »Die dürfte Hitler ja wohl bekannt sein. Aber ein Glück, dass Sie sie nicht den Russen gegeben haben. Das wäre doch sehr peinlich gewesen.«
12.15 UHR
Himmler war erstaunt, dass die Friedensgespräche offenbar weitergehen würden. Nach dem Attentatsversuch hatte er fest 508
damit gerechnet, dass der Führer darauf bestehen würde, sofort nach Deutschland zurückzukehren. Und er hätte es ihm nicht mal verübeln können. Aber man wusste eben nie, wie der Führer reagieren würde.
In gewisser Weise lebte Hitler natürlich schon seit Beginn seiner politischen Laufbahn mit der Gefahr von
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