Der Pakt
verschiedenen Loyalitäten lavieren. Deshalb hält er Roosevelt auch für schwach. Wegen der mächtigen jüdischen Lobby in Amerika.« Ribbentrop schlürfte sichtlich zufrieden seinen Champagner. »Und noch etwas. Er hält genauso wenig von seinen Generälen wie Hitler.«
»Kein Wunder, wenn man diesen General sieht, den er mitgebracht hat. Haben Sie die Fahne dieses Woroschilow gerochen? Mein Gott, der Mann muss Bier zum Frühstück getrunken haben. Wie hat der es bloß je zum Marschall gebracht?«
»Ich glaube, er war der Einzige, der bei Stalins letzter Säuberung nicht erschossen wurde. Weil er dafür zu mittelmäßig 511
war. Daher jetzt seine hohe Position in der Roten Armee.
Apropos erschießen, ich weiß nicht, ob es Ihnen aufgefallen ist, aber gestern bei dem Abendessen mit Stalin trug jeder der Kellner eine Waffe.«
»NKWD-Leute vermutlich. Berija hat mir erzählt, sie haben davon ein paar tausend hier in der Botschaft und um das Gelände herum. Schellenbergs Kommando hätte nie eine Chance gehabt. Umso besser, dass ich Berija Bescheid gesagt habe.«
»Haben sie sie alle erwischt?«
»Berija sagt, ja. Aber ich bin mir nicht so sicher. Trotzdem, selbst wenn noch ein paar auf freiem Fuß sind, gebe ich ihnen keine große Chance. Nicht in diesem Land. So ein Dreckloch.
Gar nicht, wie ich es mir vorgestellt hatte. Soweit ich es mitbekommen habe, ist das Leitungswasser hier kaum weniger tödlich als das Zeug, das in der Karaffe des Führers war.«
»Ich glaube ja, Roosevelt hat noch von diesem Wasser getrunken«, sagte Ribbentrop, »ehe es ihm aus der Hand geschlagen wurde.«
»Er scheint wohlauf.« Himmler zuckte die Achseln. »Ich habe Brandt losgeschickt, sich zu erkundigen, wie es ihm geht – in Zivil natürlich. Aber anscheinend ist Roosevelt gerade einkaufen.«
»Einkaufen?«
»Ja, die Russen haben auf dem Botschaftsgelände einen Laden eingerichtet. Als Annehmlichkeit für alle Delegationsmitglieder, sagen sie, damit wir nicht nach draußen müssen – aber, du liebe Güte, die Preise! Astronomisch, sagt Brandt.«
»Aber was gibt es denn da zu kaufen?«, fragte Ribbentrop lachend.
»Oh, sie haben alles auf Lager, was das amerikanische Touristenherz begehrt. Wasserpfeifen, Teppiche, Holzschalen, 512
persische Dolche, Silber. Brandt sagt, sie haben sogar einen ganzen Karton mit Seidenteddybären.«
»Vielleicht kauft Roosevelt ja einen Teddy, als Geburtstagsgeschenk für Churchill.« Ribbentrop lachte wieder.
»Oder vielleicht ein paar saure Trauben. Churchills Sohn ist ja auch hier. Randolph. Er ist anscheinend ein noch größerer Trunkenbold als sein Vater.«
»Roosevelts Sohn Elliott muss wohl genauso schlimm sein.
Anscheinend haben er und Randolph gestern noch bis spät in die Nacht zusammen gesoffen. Es gibt keinen größeren Fluch, als einen großen Mann zum Vater zu haben.«
»Können Sie sich vorstellen, wie Hitlers Sohn geworden wäre?«, fragte Ribbentrop. »Wenn er einen hätte, meine ich. Ein würdiger Sohn eines solchen Mannes zu sein. Unmöglich.«
Himmler lächelte leise: Es gab wohl auf der ganzen Welt nur drei Personen, die wussten, dass Hitler tatsächlich einen Sohn gezeugt hatte, mit einer Jüdin, 1913 in Wien. In Mein Kampf hatte Hitler behauptet, er habe die alte Hauptstadt der Donaumonarchie »aus politischen Gründen« verlassen, ja, es gab sogar die Version, dass er aus Wien weggegangen sei, um der Einberufung zum österreichisch-ungarischen Militär zu entgehen und sich stattdessen freiwillig zum Bayerischen Reserveinfanterie-Regiment 16 zu melden. Nur Hitler, Himmler und Julius Streicher kannten die Wahrheit: Dass Hitler eine Liebschaft mit einer österreichischen Prostituierten gehabt hatte, einer Hannah Mendel, die ihm einen Sohn gebar. Niemand, nicht einmal Hitler, wusste, was aus Hannah Mendel und ihrem Sohn geworden war. Nur Himmler war bekannt, dass Hannah Mendel ihren Sohn 1915 ausgesetzt hatte, dass sie 1919 an Syphilis gestorben und ihr Sohn Wolfgang im katholischen Waisenhaus in Linz aufgezogen worden war, dass Wolfgang Mendel sich in Paul Jetzinger umbenannt und als Kellner im Wiener Hotel Sacher gearbeitet hatte, bis er bei Kriegsausbruch zur dritten motorisierten Infanteriedivision gegangen war, und 513
dass der Obergefreite Jetzinger bei Stalingrad gefallen oder in Gefangenschaft geraten war. Was in Himmlers Augen wohl auch das Beste war.
Große Männer wie Hitler sollten keine Söhne haben, schon gar keine, die Halbjuden waren.
Himmler
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