Der Pakt
war Lawrentij Berija in Sergos Augen immer ein guter Vater gewesen, ein Vater, der nichts sehnlicher wollte, als seinen Sohn aus der Politik herauszuhalten, und ihn ermutigte, Naturwissenschaftler zu werden. Doch Stalin hatte an dem neunzehnjährigen Sohn seines Staatssicherheitskommissars einen Narren gefressen und sah den hübschen Sergo als künftigen Ehemann seiner Tochter 516
Swetlana, die mit ihm zur Schule gegangen war. Zu diesem Zweck hatte Stalin den jungen Sergo zum Hauptmann des NKWD befördert, nach Teheran mitgenommen und persönlich beauftragt, ihm jeden Morgen zu berichten, was die anderen beiden Staatsoberhäupter »privat« in ihren jeweiligen Villen redeten.
Lawrentij Berija beunruhigte es, dass sein Sohn bei Stalin einen solchen Stein im Brett hatte, weil er wusste, wie launisch der Alte war. Vor allem fürchtete er diese Heiratsidee. Noch mochte Stalin zwar selbst dafür sorgen, dass sich zwischen den beiden jungen Leuten ein zartes Band entspann, aber Berija wusste, schon in einem Jahr konnte der Alte ganz anders darüber denken, so anders womöglich, dass er seinen Staatssicherheitskommissar beschuldigen würde, sich in seine Familie einschleichen zu wollen. Man konnte nie vorhersagen, wozu ein paranoider Charakter wie Stalin fähig war.
In der NKWD-Villa fand Sergo seinen Vater bereits im Gespräch mit Himmler. Er musste nur wenige Minuten warten, dann verschwand Himmler durch einen Geheimgang im Keller und ließ Vater und Sohn allein zurück. Berija sah Sergo düster an.
»Wie ich sehe, weißt du schon, was passiert ist«, sagte Berija.
»Ja, aber der Grund, den Himmler dir genannt hat – dass er Hitlers Sicherheit nicht mehr gewährleistet sieht –, das ist Quatsch.« Sergo zeigte seinem Vater das Abhörprotokoll.
Lawrintij Berija las das halbe Dutzend Seiten ohne jeden Kommentar. Schließlich platzte sein Sohn mit der Frage heraus, die ihm schon die ganze Zeit auf der Zunge lag, seit er erstmals das Wort »Beketowka« gehört hatte. »Wer oder was ist Beketowka?«, fragte er seinen Vater.
»Das ist ein Kriegsgefangenenlager in der Nähe von Stalingrad«, erklärte Berija. »Für deutsche Gefangene. Ich brauche dir ja wohl nicht zu sagen, dass Stalin die noch weniger 517
kümmern als seine eigenen Soldaten. Ich habe das Lager nie gesehen, aber ich kann mir vorstellen, dass die Bedingungen dort hart sind. Sehr hart. Wenn diese Beketowka-Akte, von der Hitler spricht, die Verhältnisse in dem Lager wirklich eingehend dokumentiert, dann dürfte es nicht weiter verwunderlich sein, dass er so aufgebracht ist. Sehr wahrscheinlich haben die Deutschen die Akte den Amerikanern gegeben, um ihre Behauptung zu stützen, dass sie nicht schlimmer sind als wir.
Vermutlich hat Himmler diese Akte Hitler vorenthalten. Er muss genau gewusst haben, was sie bei ihm auslösen und wie sich das auf diese Friedensgespräche auswirken würde. Die Frage ist also nur, ob das den Amerikanern bewusst war, als sie ihm die Akte gegeben haben. Denn daraus müsste man schließen, dass sie das Scheitern dieser Verhandlungen wollten.«
Sergo Berija sagte achselzuckend: »Es gibt doch bestimmt auch Amerikaner, die immer noch Churchills Meinung teilen, dass wir mit diesen Faschisten nicht verhandeln dürfen.«
Lawrentij Berija griff zum Telefon. »Geben Sie mir Molotow«, befahl er der Telefonzentrale der Botschaft. Dann erklärte er Sergo:
»Ich selbst habe nicht gesehen, was dort im Konferenzraum passiert ist. Vielleicht kann uns ja unser Außenminister sagen, wer von den Amerikanern Hitler diese Akte gegeben hat.«
Berija erklärte Molotow ausführlich die Sachlage. Aber wer sollte Stalin sagen, dass Hitler abreisen würde?
»Das ist eindeutig eine Sicherheitssache«, argumentierte Molotow. »Dafür sind Sie zuständig, Berija.«
»Ganz im Gegenteil«, sagte Berija. »Das ist fraglos eine außenpolitische Angelegenheit.«
»Unter normalen Umständen würde ich Ihnen da Recht geben«, sagte Molotow. »Aber wenn ich mich recht erinnere, war es Ihr Amtskollege Himmler, der die ersten Friedensfühler ausgestreckt hat. Und Sie haben sich damit befasst. Außerdem 518
ist doch wohl alles, was mit der Anwesenheit des Führers hier in Teheran zu tun hat, von Ihnen organisiert worden, Genosse Kommissar.«
»Das ist richtig. Dennoch liefen Himmlers erste Kontakte über Madame de Kollontay in Stockholm. Soweit ich weiß, wurden diese Gespräche von Stalin persönlich genehmigt, über Sie, Genosse Sekretär.«
»Und
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