Der Pakt
die ihn ersetzen könnten, oder? Wer ist denn noch da?«
»Du«, sagte Schellenberg lächelnd. »Ich finde, du würdest einen hervorragenden Diktator abgeben. Vor allem so, wie du jetzt bist. Prachtvoll.«
Lina boxte ihn spielerisch gegen die Schulter. Der Schlag tat ein wenig weh. Sie war kräftiger, als ihr bewusst war. »Ich meine es ernst, Walter. Ihr müsst diesen Plan ausführen. Um unser aller willen.« Sie schüttelte den Kopf. »Sonst weiß ich nicht, was aus uns werden soll, wirklich nicht. Neulich habe ich Goebbels getroffen. Er hat mir erklärt, wenn die Russen nach Deutschland vordringen, droht uns nichts Geringeres als die Bolschewisierung des Reiches.«
»Das sagt er immer. Es ist seine Aufgabe, uns Angst davor zu machen, dass wir alle als Kommunisten leben müssen.«
»Das zeigt nur, dass du nicht zugehört hast, Walter. Sie werden keine Marx-Engels-Schriften verteilen, wenn sie hierher kommen. Was uns dann bevorsteht, ist die Liquidierung unserer gesamten Intelligenzschicht und der Abstieg unseres Volkes in die bolschewistisch-jüdische Sklaverei. Und hinter dem Terror drohen Hungersnot und totale Anarchie.«
In Schellenbergs wohl informierten Ohren klang das wie der Text der Flugschrift des Propagandaministeriums, die letzte Woche in seinem Briefkasten gelandet war, aber er unterbrach Lina nicht.
»Was glaubst du, was mit all den deutschen Soldaten passiert ist, die bei Stalingrad gefangen genommen wurden? Sie stecken jetzt in Zwangsarbeiterkolonnen. Schuften in der sibirischen 82
Tundra. Und diese ganzen polnischen Offiziere, die bei Katyn hingerichtet wurden? Das ist das Schicksal, das uns allen droht, Walter. Meine Söhne sind in der Hitlerjugend. Was glaubst du, was mit ihnen geschieht? Und mit ihren Schwestern Silke und Marte?« Lina schloss die Augen und presste das Gesicht an Schellenbergs Brust.
»Ich habe solche Angst.«
Er nahm sie in die Arme.
»Ich habe überlegt, ob ich mit Himmler sprechen soll«, sagte sie leise. »Ob ich ihn bitten soll, mir zu erlauben, meine Jungen aus der Hitlerjugend zu nehmen. Ich habe schon meinen Mann für Deutschland hingegeben. Ich will nicht auch noch ein Kind verlieren.«
»Möchtest du, dass ich mit ihm spreche, Lina?«
Lina lächelte ihn an. »Du bist so gut zu mir, Walter. Aber nein, danke, ich werde es selbst tun. Mir gegenüber hat Himmler immer ein schlechtes Gewissen. Da wird er eher nachgeben, als wenn du mit ihm redest.« Sie küsste ihn, diesmal mit ganzer Hingabe, und kurz darauf schon waren sie im Bett und widmeten sich ganz der wechselseitigen Lust.
Am frühen Nachmittag ließ Schellenberg Lina im Adlon zurück und ging zu Fuß zum Luftfahrtministerium. Es war ein typisches Amtsgebäude und zum Schutz vor den feindlichen Bomben nicht einmal beflaggt.
Schellenberg wurde in einen großen Konferenzsaal im vierten Stock geführt, wo rasch eine Reihe hoher Offiziere zu ihm stieß: Generalleutnant Schmid, Generaloberst Korten, Generalmajor Koller, die Generäle Student und Gallant und ein Oberleutnant namens Weiter, der mitschrieb. Generalleutnant Schmid, innerhalb der Luftwaffe »Beppo« genannt, ergriff als Erster das Wort.
»Auf Basis der Informationen, die uns Milch gegeben hat, haben wir die Durchführbarkeit des Unternehmens unter Einsatz 83
einer Staffel von vier Focke-Wulf 200 geprüft. Das ist, wie Sie ja bereits selbst aufgezeigt haben, das geeignetste Flugzeug für diese Aufgabe. Es hat eine Dienstgipfelhöhe von fast sechstausend Metern und mit Zusatztreibstoff eine Reichweite von viertausendvierhundert Kilometern. Um der Zielgenauigkeit willen würden wir allerdings statt einer Bombenzuladung zwei funkgelenkte Henschel-HS293-Gleitbomben empfehlen. Die Henschel-Gleitbombe agiert wie ein kleines Flugzeug, mit einem Motor, der sie auf ihre Höchstgeschwindigkeit bringt, worauf sie dann per Funkfernsteuerung vom Flugzeug aus ins Ziel geleitet wird.«
»Funkgelenkt.« Schellenberg war beeindruckt. »Wie geht das?«
»Da es sich um eine streng geheime Waffe handelt, werden Sie verstehen, dass wir nicht allzu viel darüber sagen können.
Aber die Funktionsweise der Gleitbombe ist ziemlich simpel.
Allerdings muss der Bombenschütze die Gleitbombe in Sicht behalten. Äußere Bedingungen wie Wolken, Dunst oder Rauch können die Zielgenauigkeit beeinträchtigen. Auch Leuchtspurgeschosse von leichtem AA-Feuer können das Verfolgen der Gleitbombe erschweren.« Schmid hielt inne, um sich eine Zigarette anzuzünden.
»Das ist
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