Der Pakt
Philby?«
»Ja, Sie kennen ihn?«
Ich nickte. »Von vor dem Krieg. Wir haben beide in Wien studiert. Wo finde ich ihn?«
»Siebter Stock.«
Kim Philby sah eher wie ein englischer Internatslehrer als wie ein SIS-Offizier aus. Er trug ein altes Tweed-Jackett mit Lederflicken auf den Ellbogen, braune Kordhosen mit roten Hosenträgern, ein Flanellhemd und eine fleckige Seidenkrawatte. Klein und hager, machte er einen noch unterernährteren Eindruck als Pearson, und er roch intensiv nach Tabak. Es war fast zehn Jahre her, dass ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, aber er hatte sich kaum verändert. Er wirkte immer noch irgendwie verhalten und auf der Hut. Als Philby mich vor seinem unordentlichen Schreibtisch stehen sah, erhob er sich mit einem vagen Lächeln und sah zu Pearson hinüber.
»Mein Gott, Willard Mayer. Was machen Sie denn hier?«
»Hallo, Kim. Ich bin beim OSS.«
»Sie haben mir gar nicht gesagt, dass Sie diesen Burschen kennen, Norman.«
»Wir haben uns eben erst kennen gelernt«, sagte Pearson.
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»Ich bin für eine Woche hier«, erklärte ich. »Dann geht es wieder zurück nach Washington.«
»Setzen Sie sich. Machen Sie sich’s gemütlich. Catherine!
Bringen Sie uns bitte einen Tee?«
Noch immer vage lächelnd, musterte mich Philby eingehend.
»Das letzte Mal, dass ich Sie gesehen habe«, sagte ich, »war bei Ihrer Hochzeit. Im Wiener Rathaus.«
»Februar 1934. Mein Gott, wie die Zeit vergeht, wenn das Leben kurzweilig ist.«
»Wie geht’s Litzi?«
»Weiß der Himmel. Hab sie lange nicht mehr gesehen. Wir sind getrennt.«
»Tut mir Leid.«
»Braucht es nicht. Wir haben uns nie so recht verstanden.
Keine Ahnung, warum ich sie geheiratet habe. Sie war einfach zu wild, zu radikal.«
»Vielleicht waren wir das ja alle.«
»Mag sein. Jedenfalls, jetzt habe ich Aileen. Zwei Kinder. Ein Mädchen und einen Jungen. Und noch eins im Ofen, zur Strafe für meine Sünden. Sind Sie verheiratet, Will?«
»Bis jetzt nicht.«
»Sehr vernünftig. Sie waren ja immer schon einer, der nichts anbrennen ließ, wenn ich mich recht erinnere. Also, was führt Sie in die bescheidene Bleibe von Sektion Neun?«
»Die Tatsache, dass Sie hier der Russland-Experte sind, Kim.«
»Ach, das würde ich so nicht sagen.« Philby zündete sich eine Zigarette an und nahm ein paar energische Züge, eine Hand unter die Achselhöhle geklemmt. Ein Zehn-Shilling-Schein guckte aus dem nicht allzu sauberen Taschentuch in seiner Brusttasche hervor. »Aber wir haben unsere inspirierten Momente.«
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Der Tee kam. Philby sah auf seine Taschenuhr, beschäftigte sich mit dem Verteilen der angeschlagenen Tassen und Untertassen, lüpfte dann den Deckel der großen braunen Emaillekanne und guckte hinein wie der Hutmacher aus »Alice im Wunderland« auf der Suche nach der Haselmaus.
»Ich untersuche das Katyn-Massaker«, sagte ich. »Für Präsident Roosevelt. Und ich dachte, Sie hätten vielleicht eine Ahnung, was jetzt passieren wird, nachdem die Russen dieses Gebiet zurückerobert haben.«
Philby zuckte die Achseln und goss uns Tee ein. »Ich gehe davon aus, dass der Oberste Sowjet eine außerordentliche Kommission einsetzt, zur Untersuchung der Verbrechen der faschistischen Invasoren oder dergleichen. Um zu beweisen, dass das alles nur niederträchtige Machenschaften der Jerrys waren, mit dem Ziel, die Harmonie und Eintracht zwischen den Alliierten zu trüben.« Er klaubte sich einen Tabakkrümel von der Lippe. »Was auch nichts anderes ist, als unser Außenminister, Anthony Eden, vor einer Weile gesagt hat.«
»Das zu sagen, ist eine Sache. Es zu glauben, eine andere.«
»Tja, da wissen Sie vermutlich mehr als ich, alter Junge.« Er rührte so bedächtig in seinem Tee, als mischte er Farbe. »Aber lassen Sie mich mal überlegen. Die Iwans werden ein Häufchen Akademiker und Schriftsteller in die Kommission berufen.
Jemanden aus der Regionalverwaltung von Smolensk. Einen Volkskommissar für dieses oder jenes. Jemanden vom Russischen Roten Kreuz und vom Roten Halbmond. Einen Mediziner von der Roten Armee vermutlich. Solche Leute.«
Ich nippte an meinem Tee und fand ihn ungenießbar stark.
Den Rest in der Kanne würden sie vermutlich benutzen, um Zäune zu beizen. »Glauben Sie, die Sowjets werden auch jemand Unabhängigen in eine solche Kommission berufen?«
»Da legen Sie den Finger genau in die Wunde, Willard, alter Junge. Unabhängig. Wer sollte diese Unabhängigkeit 105
garantieren? Die Deutschen haben ihren
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