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Der Pakt

Der Pakt

Titel: Der Pakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Victor Rothschild und von der Schriftstellerin Rosamond Lehmann, mit der ich schon über zehn Jahre flirtete. Um dem, was über Katyn bereits bekannt war, ein wenig Farbe verleihen zu können, würde ich jede Menge Termine mit wütenden Polen und steifen britischen Beamten haben, daher zählte ich auf Ros und Victor, was den unterhaltsamen Teil meines Aufenthalts anging. Da war auch ein Telegramm von Diana. Es lautete: STREITFRAGE: KANN ICH FROH SEIN, DASS DU DORT BIST, WENN ICH
    NICHT FROH BIN, DASS DU NICHT HIER BIST? Das war wohl Dianas Vorstellung von einer philosophischen Fragestellung.
    Nach einem lauwarmen englischen Bad, einem nicht allzu üppigen englischen Frühstück und gründlicher Durchsicht der Times verließ ich das Hotel und ging zu Fuß zum Grosvenor Square. Hier verbrachte ich den Vormittag damit, diverse Leute von der Londoner Station des OSS zu treffen. David Bruce, der Chef der Station, war ein vierundvierzigjähriger Multimillionär, der das zweifelhafte Privileg genoss, mit der Tochter von Andrew Mellon verheiratet zu sein. Mellon war ein amerikanischer Stahlmagnat, der zu den reichsten Männern der Welt zählte. Etliche von Bruces Leuten waren nicht minder reich, blaublütig oder akademisch arriviert, etwa Russell O’Dench, der Reedereierbe, oder Norman Pearson, der renommierte Englisch-Professor aus Yale. Die Londoner Station des OSS wirkte wie eine Außenstelle des Washingtoner Metropolitan Club.
    Pearson, der für die Gegenspionage-Aktivitäten des Londoner OSS-Büros zuständig war, hatte auch als Dichter reüssiert.
    Nachdem er ein paar Lebensmittelkarten hervorgekramt hatte, erbot er sich, mich mit dem Londoner Geheimdienstvölkchen bekannt zu machen. Er war ein Jahr jünger als ich und ziemlich dünn, was wohl auf die in London erhältlichen – oder besser, nicht erhältlichen – Lebensmittel zurückzuführen war. Sein in 101

    Amerika geschneiderter Anzug war ihm jetzt ein paar Nummern zu weit.
    Pearson war ein umgänglicher Bursche und kaum die Sorte Desperado, die die meisten Leute bei einem Geheimdienstler erwartet hätten. Aber das war typisch für unseren Dienst. Auch nach drei Monaten Sicherheits- und Spionageschulung im OSS-Ausbildungszentrum am Catoctin Mountain gab es unter meinen Kollegen, die allesamt von den besten Universitäten kamen, nur wenige, die es für nötig hielten, sich wie Angehörige einer militärischen oder auch nur quasi-militärischen Organisation zu gebärden. In Washington wurde der Dienst beim OSS scherzhaft
    »Zellophan-Dienst« genannt: eine durchsichtige Form des Schutzes – vor der Einberufung in die Armee. Aber für viele jüngere Offiziere bedeutete das OSS auch einfach ein bisschen Abenteuer und die Möglichkeit, den Härten des normalen Militärdiensts zu entrinnen. Nicht wenige OSS-Offiziere waren aus Prinzip aufsässig. So genannte Befehle wurden oft der Abstimmung unterworfen. Doch bei alldem hielt das OSS doch zusammen und leistete einiges an nützlicher Arbeit. Pearson war eher einer der gewissenhafteren und soldatischeren OSS-Leute.
    Er brachte mich zum Hauptquartier des Secret Intelligence Service, kurz MI6 genannt. Hier war das Zentrum der britischen Gegenspionage. Der Dienst residierte in Broadway Buildings 54, einem schäbigen Bau mit improvisierten Büros, in denen lauter Leute in schlampiger Zivilkleidung saßen.
    Pearsons machte mich mit ein paar Sektionsoffizieren bekannt, die große Teile des Katyn-Materials erstellt hatten, auf dem der Bericht von Sir Owen O’Malley fußte. O’Malley war der Botschafter bei der polnischen Exilregierung. Major King, der Offizier, der die ursprünglichen Berichte ausgewertet hatte, warnte mich, dass alles, was bisher an Klarheit über Katyn bestand, demnächst verwischt werden würde:
    »Die Sowjetarmeen unter General Sokolowski und General Jermienko haben vor zwei Wochen, am 25. September, 102

    Smolensk zurückerobert«, erklärte er. »Wenige Tage später haben sie auch das Gebiet im Wald bei Katyn, wo die Massengräber liegen, wieder unter ihre Kontrolle gebracht. Also sind die Exhumierungen, die die Deutschen im Herbst dort vornehmen wollten, inzwischen unmöglich geworden.
    Wahrscheinlich ist, dass die Russen die Leichen wieder ausgraben und einen eigenen Bericht erstellen werden, in dem sie alles auf die Jerrys schieben. Aber das ist eigentlich nicht mein Bereich. Für die Interpretation des gesamten Materials über die Russen ist Philby zuständig.«
    Ich lächelte. »Kim

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