Der Pakt
ruhigen, wohl manikürten Händen öffnete der General einen großen, gut bestückten Picknickkorb und entnahm ihm eine flache Halbliterflasche zollfreien Bourbon. Gleich darauf brachten wir den Göttern der transatlantischen Luftreisen ein Trankopfer dar.
»Ist das Ihr erster Londonbesuch?«, fragte der General und bot mir ein schuhsohlengroßes Sandwich aus einer schuhschachtelgroßen Blechdose an.
»Ich war vor dem Krieg einmal dort. Damals erwog ich, in Cambridge meinen Doktor in Philosophie zu machen.«
»Und? Sind Sie nach Cambridge gegangen?«
»Nein, ich war stattdessen in Wien.«
Der Riesenzinken des Colonel krauste sich ungläubig. »Wien?
Großer Gott. Was in aller Welt hat Sie dazu getrieben?«
Ich zuckte die Achseln. »Damals war das eine attraktive Stadt.«
Und ich setzte hinzu: »Außerdem hatte ich dort Verwandte.«
Von da an schaute mich der General an, als wäre ich ein Nazispion. Oder gar ein Verwandter des Führers. Hitler war zwar der deutsche Führer, aber der General schien nicht vergessen zu haben, dass Hitler in Österreich geboren war und einen Gutteil seiner jungen Jahre damit verbracht hatte, sich in Wien herumzutreiben. Wenn ich gesagt hätte, ich sei in Wittenberg Faustus’ Wohngenosse gewesen, hätte er mich kaum misstrauischer beäugen können. Das Gespräch verstummte.
96
Als ich mit gerade dreiundzwanzig Jahren nach Wien gekommen war, nachdem eine noch reichere Tante meiner Mutter, die Baroness von Bingen, mein Sheldon-Stipendium um einen großzügigen Wechsel aufgestockt und mir vor allem ihre ungemein noble Wohnung in der exklusiven Prinz-Eugen-Straße zur Verfügung gestellt hatte, war ich sehr schnell zum Wiener Kreis gestoßen – dem damaligen geistigen Zentrum fortschrittlicher europäischer Philosophie, vor allem bekannt wegen seiner Opposition gegen die herrschende metaphysische und idealistische Richtung der deutschen Philosophie. Oder anders gesagt, wir waren alle selbst ernannte Apostel Einsteins und der Relativitätstheorie.
Moritz Schlick, der führende Kopf des Wiener Kreises, wohnte bei mir um die Ecke und hatte mich eingeladen, mich der Gruppe anzuschließen. Ziel des Zirkels war es, die Philosophie wissenschaftlicher zu machen, und wenn ich auch zunächst nicht das Gefühl hatte, dass mich viel mit diesen Leuten verband – einige waren theoretische Physiker, und mit ihnen zu reden war ungefähr so, wie mit einem Marsmännchen zu diskutieren –, wurde doch bald klar, dass die Beschäftigung mit Philosophie im Rahmen des Wiener Kreises per se schon ein politischer Akt war. Die Nazis waren entschlossen, alles zu verfolgen, was nicht mit ihnen konform ging, so auch den Wiener Kreis, dem etliche Juden angehörten. Und nachdem 1934 der pro-nationalsozialistische Engelbert Dollfuß zum österreichischen Bundeskanzler gewählt worden war, beschloss ich, in die Kommunistische Partei einzutreten. Diese Partei blieb meine politische Heimat bis zu jenem langen, heißen und für mich promisken Sommer 1938.
Inzwischen lebte und lehrte ich in Berlin, wo ich ein Verhältnis mit einer polnischen Aristokratin, Prinzessin Elena Pontiatowska, hatte. Sie war eine gute Freundin von Christiane Lundgren, einer Ufa-Schauspielerin, die ihrerseits mit Goebbels schlief. Über Christiane traf ich Goebbels ein paarmal bei 97
gesellschaftlichen Anlässen. Aufgrund meiner Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei, von der weder Goebbels noch die Prinzessin wussten (wie sie auch nicht wussten, dass ich Halbjude war), dauerte es nicht lange, bis das Russische Volkskommissariat für innere Angelegenheiten, NKWD, an mich herantrat und wissen wollte, ob ich bereit sei, ihnen Informationen über den deutschen Propagandaminister zu liefern.
Der Gedanke, die Nazis auszuspionieren, hatte einigen Reiz.
Es war bereits klar, dass es einen weiteren großen europäischen Krieg geben würde. Ich sagte mir, ich könnte so meinen kleinen antifaschistischen Beitrag leisten, so wie es andere im Spanischen Bürgerkrieg getan hatten. Also erklärte ich mich bereit, über alle Gespräche mit Goebbels Bericht zu erstatten.
Dann jedoch, nach dem Münchner Abkommen im September 1938, stieg ich tiefer in den Spionagedienst ein. Um dem NKWD noch detailliertere Informationen liefern zu können, ließ ich mich von der Abwehr rekrutieren, dem militärischen Nachrichtendienst der Wehrmacht.
Um meinen Status innerhalb der Abwehr zu stärken, versorgte mich das NKWD mit Informationen, die ich damals für
Weitere Kostenlose Bücher