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Der Pakt

Der Pakt

Titel: Der Pakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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harmlos hielt. Später jedoch entdeckte ich zu meinem Entsetzen, dass das NKWD mich benutzt hatte, um den Nazis die Namen von drei Mitgliedern des polnischen Geheimdiensts zuzuspielen. Diese drei Agenten, darunter eine gerade mal zweiundzwanzigjährige Frau, wurden daraufhin verhaftet, von der Gestapo gefoltert, von einem deutschen Volksgerichtshof verurteilt und im November 1938 im berüchtigten Zuchthaus Plötzensee guillotiniert.
    Schockiert, dass mich die Russen benutzt hatten, um sich Leute vom Hals zu schaffen, die sie nicht minder hassten als die Deutschen, kappte ich alle Kontakte zum NKWD, kündigte meine Dozentenstelle an der Berliner Universität und kehrte mit eingezogenem Schwanz nach Harvard zurück.
    98

    Das Flugzeug sackte wieder ab und schien dann zu rollen wie ein Boot im Tal einer unsichtbaren Welle.
    Inzwischen betrachtete ich meine ehemalige Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei Deutschlands als Jugendsünde. Ich sagte mir, wenn ich je wieder nach Berlin oder Wien kommen würde, dann nach dem Krieg, und unter diesen Umständen würde es wohl keine so große Rolle mehr spielen, was das OSS
    sagte, wenn es von meinen einstigen politischen Loyalitäten erfuhr.
    Schließlich landete die Maschine in Shannon, wo wir wieder auftankten, uns die Beine vertraten und uns von dem Fregattenkapitän verabschiedeten, der mit einem anderen Flugzeug nach Lame fliegen sollte, um zu seinem neuen Schiff zu stoßen. Wir übrigen flogen nach Stranraer, wo ich, ehe ich den Zug nach London nahm, Telegramme an einige Leute schickte, die ich dort zu treffen hoffte. Ich teilte sogar Diana telegrafisch mit, dass ich heil in Großbritannien angekommen sei. Und vierundvierzig Stunden nach meinem Abflug von New York kam ich endlich im Claridge an.
    Obwohl viele Mauern mit Holzpfeilern und Sandsäcken verstärkt und alle Fenster kreuz und quer mit Klebestreifen bepflastert waren, sah das West End im Großen und Ganzen noch so aus, wie ich es in Erinnerung hatte. Die Bombenschäden beschränkten sich auf das East End und die Hafenanlagen. Die Amerikaner, die ich sah, gehörten fast alle zu den Luftstreitkräften, die meisten waren noch halbe Kinder, ganz so wie Roosevelt gesagt hatte. Manche schienen noch nicht mal alt genug, um offiziell Alkohol trinken zu dürfen, geschweige denn eine B-24 bei einem Luftangriff auf Hamburg zu fliegen.
    Es war zwar noch relativ früh, als ich ins Hotel kam, aber ich beschloss dennoch, gleich ins Bett zu gehen, und trank zur Entspannung noch ein Glas Scotch. Als ich kurz vor dem Einschlafen war, ging die Luftschutzsirene los. Ich fuhr in den Morgenrock und die Pantoffeln und ging hinunter in den 99

    Luftschutzraum, nur um festzustellen, dass sich sonst kaum jemand von den Gästen die Mühe gemacht hatte. Als ich nach der Entwarnung in mein Zimmer zurückgekehrt war und gerade wieder die Augen geschlossen hatte, kam schon der nächste Alarm. Diesmal begegnete ich auf dem Weg zur Fluchtwegstreppe einem kleinen Mann im Smoking, der wie ein Schweinchen aussah. Er hatte rotes Haar, eine Brille mit runden Gläsern und eine dicke Zigarre im Mund. Er wirkte wie ein vom Alkohol aufgeschwemmter und von Enttäuschung abgehärmter Cherub und zeigte sich gänzlich unbeeindruckt von dem hohen Jaulen der Sirene, die wie ein himmlischer Chor toter Katzen klang.
    Angesichts meiner Eile bemerkte der Mann schmunzelnd: »Sie müssen Amerikaner sein. Ein guter Rat, alter Junge. Gehen Sie nicht extra hinunter in den Schutzraum. Das ist nur ein kleiner Angriff. Es spricht alles dafür, dass die paar Bomben, die tatsächlich fallen, irgendwo im Osten runterkommen, an der Themse, weit weg vom West End. Im letzten Monat sind in ganz Großbritannien nur fünf Menschen durch Jerry-Bomben ums Leben gekommen.« Der Mann paffte fröhlich an seiner Zigarre, wie um zu signalisieren, dass fünf Tote so belanglos waren wie eine Partie Kleinbillard.
    »Danke, Mr. -?«
    »Waugh. Evelyn Waugh.«
    Ich befolgte seinen Rat, ging wieder ins Bett, kippte noch einen Scotch und schlief ohne weitere Zwischenfälle –
    jedenfalls keine, an die ich mich später erinnerte – sechs Stunden durch.
    Nach dem Aufwachen stellte ich fest, dass fast ein Dutzend Antworten auf die Telegramme, die ich in Stranraer abgeschickt hatte, unter der Tür hindurchgeschoben worden waren.
    Zwischen all den Antworttelegrammen von Diplomaten und Geheimdienstleuten, die ich sehen wollte, waren auch 100

    Botschaften von zwei alten Freunden: von Lord

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