Der Pakt
leicht zu durchschauen. Im Gegensatz zu Churchill. Was in den Gehirnwindungen dieses Mannes vor sich geht, kann niemand genau sagen.«
»Soweit ich es mitgekriegt habe, hat Churchill der Katyn-Sache keine große Beachtung geschenkt. Er benimmt sich nicht wie jemand, der sie als Vorwand zu benutzen gedenkt, die Errichtung einer zweiten Front auf die lange Bank zu schieben.«
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»Mag sein«, räumte Blunt ein. »Aber es gibt viele andere, die es gern täten, verstehen Sie? Diese ganzen Judenhasser, die der Meinung sind, wir führten den Krieg gegen die Falschen.« Er schnappte sich ein Glas von einem vorbeiwandernden Tablett und kippte den Inhalt in einem gierigen Schwung in sich hinein.
»Und Roosevelt? Meinen Sie, der würde das zulassen?«
Blunt lächelte herzlich, aber sein Mund gefiel mir noch immer nicht.
Philby, der mein Stirnrunzeln sah, sagte: »Ist schon gut, Willard. Anthony ist einer von uns.«
»Und das wäre?«, sagte ich kratzbürstig. Die Aussage, Anthony sei einer von uns, schien mir plötzlich fast so beleidigend wie ihre Umkehrung: Ich sei einer von ihnen.
»MI5. Anthony ist vielleicht sogar der Mann, mit dem Sie wegen Ihrer Polen-Sache reden sollten. Die verbündeten Exilregierungen, neutrale Länder mit diplomatischen Vertretungen in London – auf all das hat Anthony ein Auge, stimmt’s, Tony?«
»Wenn Sie’s sagen, Kim«, sagte Blunt lächelnd.
»Na ja, ist doch kein großes Geheimnis«, brummelte Philby.
»Ich kann Ihnen so viel sagen«, sagte Blunt. »Die Polen würden schrecklich gern einen Russen in die Finger kriegen, der Attaché an der sowjetischen Botschaft in Washington ist. Ein gewisser Wassili Zubilin. 1940 war er Major beim Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten und befehligte eine der Todesschwadronen in Katyn. Offenbar haben ihn die Russen zur Belohnung für seine gute Arbeit nach Washington geschickt, auch um ihn aus der Gefahrenzone zu schaffen. Und weil sie sicher sein können, dass er nicht überlaufen wird. Wenn er’s täte, würden sie einfach Ihre Regierung darüber informieren, was er in Katyn getan hat. Und dann wäre da sicher irgendein Pole, der ihn als Kriegsverbrecher anklagen würde.
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Was auch immer das Wort bedeutet. Und woher kennen Sie Victor?« Blunt wechselte abrupt das Thema.
»Wir haben ein ähnlich oberflächliches Verhältnis zu unserem Jüdischsein«, sagte ich. »Oder in meinem Fall, genauer gesagt, Halbjüdischsein. Ich war bei seiner Hochzeit mit Barbara. Und Sie?«
»Oh, Cambridge«, sagte Blunt. »Und Rosamond. Sie sind doch mit ihr gekommen? Woher kennen Sie Rosie?«
»Hör auf, ihn auszuquetschen, Anthony«, sagte Philby.
»Ist schon gut«, sagte ich, ohne jedoch Blunts Frage zu beantworten, und als ich Rosamonds unverwechselbares Lachen hörte, blickte ich mich um und sah sie höchst belustigt einem ziemlich derangiert aussehenden Menschen zuhören, der sich über irgendeinen Jüngling erging, den er verführen wollte.
Allmählich kam mir der Verdacht, dass so ziemlich jeder auf dieser Party entweder Spion, Kommunist oder homosexuell war – Anthony Blunt war wahrscheinlich sogar alles auf einmal.
Rothschild kam wieder herein und schwenkte triumphierend ein Saxophon.
»Victor«, sagte ich lachend, »Sie sind wohl der einzige Mensch, der nachts um halb elf ein Saxophon auftreiben kann.«
Ich nahm das Saxophon, und mein alter Freund setzte sich ans Klavier, zündete sich eine Zigarette an und klappte den Deckel auf.
Wie spielten über eine halbe Stunde. Rothschild war der bessere Musiker, aber es war spät, und die Leute waren zu betrunken, um meine technischen Schwächen zu bemerken. Als wir aufgehört hatten, nahm mich Philby beiseite.
»Prima«, sagte er. »Wirklich. Das war nicht von schlechten Eltern.«
Ich zuckte die Achseln und trank ein Glas Champagner gegen meinen trockenen Mund.
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»Sie erinnern sich doch noch an Otto Deutsch?«, fragte er.
»Otto? Ja. Was ist aus ihm geworden? Er ging doch nach London oder nicht? Als Österreich faschistisch wurde.«
»Er war auf einem Schiff, das mitten auf dem Atlantik von einem deutschen U-Boot versenkt wurde.« Philby schwieg und zündete sich eine Zigarette an.
»Armer Otto. Das wusste ich nicht.«
»Er hat mich anzuwerben versucht, wissen Sie? Für das NKWD, damals in Wien.«
»Ach ja?«
»Ich habe, ehrlich gesagt, nicht recht eingesehen, was ich da sollte. Trotzdem, wenn ich in Österreich geblieben wäre, hätte ich wahrscheinlich irgendwann für sie
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