Der Pakt
Nein.
Haben Sie nicht. Normalerweise, mit genügend Zeit, hätte ich Hitlers Idee mit der Mussolini-Befreiung abbiegen können, wie 121
ich so viele andere idiotische Pläne abgebogen habe. Aber er hat immer wieder damit angefangen, bis ich schließlich keine Möglichkeit mehr sah, es zu umgehen. Und, lieber Gott, wer hätte denn gedacht, dass der Trottel es auch noch schafft.«
Sie befanden sich in Himmlers neuem Büro im Reichsinnenministerium Unter den Linden, neben der alten griechischen Botschaft. Durch die hohen Fenster konnte Schellenberg das Adlon sehen und sogar das Fenster ebenjenes Zimmers, wo er und Lina Heydrich sich geliebt hatten.
»Realismus heißt, einen Friedensschluss mit den Alliierten anzustreben, nicht zu versuchen, deren Staatsoberhäupter umzubringen.«
Schellenberg nickte, staunte aber über die vielen Widersprüche in Himmlers Person und Verhalten. Der Himmler, der jetzt von Frieden sprach, war derselbe, der am 25. August, gleich nachdem er Wilhelm Frick als Innenminister abgelöst hatte, einen Regierungsrat wegen »defätistischer Äußerungen« unters Fallbeil geschickt hatte. Die Hinrichtung des Regierungsrats war offenbar nur Schau gewesen, dachte Schellenberg, um die allgemeine Moral aufrechtzuerhalten. Die letzte Bemerkung des Reichsführers bestätigte die Aussage der beiden Gestapo-Leute, die Schellenberg hatte erschießen müssen: dass Himmler private Friedensverhandlungen führte, die ihn vermutlich an die Spitze einer Nach-Hitler-Regierung bringen sollten.
»Nein«, sagte der Reichsinnenminister. »Ich glaube, das käme gar nicht gut an. Nicht, während wir über einen Frieden zu verhandeln versuchen.«
Da, dachte Schellenberg, er gab es zu. In seiner Arroganz wäre Himmler wahrscheinlich gar nicht auf die Idee gekommen, die Gestapo könnte das zu Recht als Verrat betrachten. Dass sie die Frechheit besitzen könnten, ihn, den Reichsführer-SS, zu bespitzeln, konnte er sich wohl einfach nicht vorstellen.
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»Das scheint Sie nicht sonderlich zu überraschen, Schellenberg«, bemerkte Himmler.
»Dass wir über einen Frieden zu verhandeln versuchen? Wenn Sie sich erinnern wollen, Herr Reichsführer, war ich doch derjenige, der im August letzten Jahres von der Notwendigkeit einer Alternativstrategie gesprochen hat. Damals sagten Sie, glaube ich, ich sei ein Defätist.«
Schellenberg spürte, dass Himmler daran nicht gern erinnert werden wollte. »Und was ist dann das hier?«, sagte Himmler und wedelte gereizt mit dem Dossier, das detailliertere Pläne für das Unternehmen »Großer Sprung« enthielt. »Eine neue Alternativstrategie?«
»Genau das, Herr Reichsführer. Eine neue Alternativstrategie.
Ich wusste leider nichts von Ihrer Friedensinitiative.«
»Jetzt wissen Sie’s. Deshalb hatte ich Sie heute Morgen eigentlich hierher beordert.«
»Verstehe. Und ist Felix Kersten daran beteiligt?«
»Ja. Woher wissen Sie das?«
»Das habe ich nur geraten.«
»Dann war es verdammt gut geraten.« Himmler klang wieder verärgert.
Schellenberg zuckte bedauernd die Achseln, aber innerlich war er schockiert. Er war ja durchaus dafür, Friedensverhandlungen mit den Alliierten zu führen, aber er hätte nie geglaubt, dass die Gestapo Recht haben könnte, was Felix Kersten anging. Dass ein finnischer Masseur mit Verhandlungen über Deutschlands weiteres Schicksal betraut wurde, verstieß doch gegen jeden gesunden Menschenverstand. In diesem Punkt war er mit Gestapo-Müller ganz einer Meinung.
»Ich weiß nicht, was Sie heute Abend vorhaben«, sagte Himmler, »aber ich fürchte, Sie werden es abblasen müssen. Ich schicke Sie direkt nach Stockholm. Meine Reisemaschine wartet 123
in Tempelhof auf Sie. Sie werden um die Mittagszeit in Schweden sein. Im Grand Hotel ist eine Suite für Sie gebucht.
Dort wird sich Kersten mit Ihnen treffen.«
Himmler zog eine Schlüsselkette aus der Hosentasche und stand auf. Er schloss einen Stockinger-Wandtresor auf und entnahm ihm eine dünne Ministeriumsaktenmappe, an deren Griff ein Paar Handschellen angeschlossen waren. »Sie haben vollen Diplomatenstatus, also dürfte es keinen Grund geben, warum die Schweden Sie auffordern sollten, diese Aktenmappe zu öffnen. Aber ich werde sie jetzt öffnen, um Ihnen die Notwendigkeit striktester Geheimhaltung vor Augen zu führen.
Nur fünf Personen wissen von dieser Mission: der Führer, ich, Ribbentrop, Felix Kersten und jetzt Sie. Sie müssen natürlich die Uniform ablegen. Das können Sie tun,
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