Der Paladin
klein. Aber du bist kein Junge, und dein Ansinnen steht ganz außer Frage. Hör zu«, sagte er und hob einen Finger, als sie den Mund öffnete. »Morgen sieht alles schon wieder ganz anders aus. Schlaf drüber. Denk darüber nach. Es ist töricht, sein Leben wegzuwerfen. Niemand erwartet von dir, daß du Männerarbeit verrichtest, und wenn du es dennoch tust, laß dir das gesagt sein, dann machst du dich zum Narren. Du brauchst nicht zu sterben; und darauf läuft es hinaus, weil du nämlich auch nicht die geringste Aussicht hast, jemanden mit dir in den Tod zu nehmen. Nimm mein Angebot an und geh nach Muigan. Wenn du etwas lernen willst – die Nonnen werden's dich lehren.«
»Nein.«
»Verdammt noch mal, du wirst tun, was ich dir sage. Ich mein's gut mit dir. Das solltest du anerkennen.«
»Nein.«
Er fuhr sich mit der Hand durch sein zum Pferdeschwanz gebundenes Haar. »Du bist müde. Hinter dir liegen Strapazen. Hör zu: Soviel tue ich für dich. Du kannst so lange hier bleiben, bis du wieder Vernunft angenommen hast. Ich verspreche dir, daß ich dich nicht anrühren werde. Du kannst schlafen, wo du willst. Es ist Sommer. Die Veranda reicht vollkommen aus und ist ein ganzes Stück angenehmer als die Straße. Du brauchst nichts tun, bis du wieder zu Kräften gekommen bist. Dann wirst du einsehen, daß ich recht habe; und ich werde dich nach Muigan bringen und mich vor meiner Abreise vergewissern, daß es dir gutgeht.«
»Nein.«
»Du willst einfach nicht hören, Mädchen! Dein ganzer Plan ist absurd. Es reicht. Du gehst.« Er stellte die Teeschale in die leere Reisschüssel, erhob sich, trat zu ihr und nahm ihr das Geschirr ab, in dem kein einziges Körnchen mehr übriggeblieben war.
Sie sah ihn ausdruckslos an, als sie es ihm reichte.
»Ich bringe dir eine Matte und eine Decke hinaus«, sagte er. »Du kannst auf der Veranda bleiben. Oder du kannst vernünftig sein und nach drinnen kommen, da ist es wärmer.«
Sie schwieg.
»Dann also die Veranda«, sagte er und ging kopfschüttelnd ins Haus.
Er stellte die Schüsseln auf den Tisch, rollte die oberste seiner beiden Schlafmatten zusammen und nahm auch seine oberste Decke mit. »Mädchen«, sagte er, als er auf die Veranda hinaustrat.
Aber sie war verschwunden, mitsamt dem Korb und dem Bogen.
Er warf die Matte und die Decke zu Boden.
»Mädchen?«
Vielleicht hatte sie ein menschliches Bedürfnis verspürt und war in den Wald gegangen.
Aber mit dem Korb?
»Mädchen?«
Verdammt.
Vielleicht mißtraute sie seinen guten Vorsätzen. Der Himmel allein wußte, welche Gründe sie dafür hatte.
Vielleicht hatte sie den Korb voller Lumpen mitgenommen, um sich im Wald ein Nachtlager zu bereiten. Oder sie war in den Stall gegangen. In beiden Fällen wäre sie in Sicherheit.
Doch er machte sich Sorgen aufgrund ihres Verhaltens, nicht um ihr Leben, sondern weil sie mehr als seltsam war; und wegen der Dunkelheit, denn eigentlich sollte man nicht erwarten, daß sich ein Mädchen, das sich zu sehr vor einem Ehrenmann fürchtete, um auf der Veranda zu schlafen, in einem finsteren Wald oder in einem fremden dunklen Stall versteckte. Verdammt, sie wollte seine Schülerin werden; und sie fürchtete sich, bei ihm auf der Veranda zu schlafen.
Ihm war nun selbst ein wenig unbehaglich zumute – wegen des Mädchens, der späten Stunde und ihres sonderbaren Verhaltens.
Es widerstrebte ihm, noch einmal zu rufen und seine Besorgnis zu verraten. Er schämte sich, ins Haus zurückzugehen und sein Schwert vom Haken an der Wand zu nehmen; aber er war auch nicht so närrisch, im Dunkeln ohne Waffe in den Stall zu gehen.
Jiro war für die Nacht im Stall eingesperrt; nicht in seinem Pferch, wo er mit einem Eindringling hätte fertigwerden können. Zumindest, dachte Shoka, würde er das Pferd freilassen, und das Mädchen wäre schlecht beraten, wenn es dann noch den Pferch beträte oder im Stall Unfug anstellte.
Unten am Stall regte sich nichts. Niemand hätte Jiro nahekommen können, ohne daß er Alarm gab, da war er sich sicher. Er mußte jedoch wieder an Banditen denken; an die Möglichkeit eines Feuers, wenn das Mädchen verrückt genug war; und Jiro war das einzige Lebewesen, aus dem er sich etwas machte. Die Vorstellung, daß das Mädchen oder irgendein Komplize dem Pferd etwas antun könnte, war unerträglich.
Verdammt, dachte er, das Mädchen konnte den Stall unmöglich betreten, ohne Lärm zu machen. Er machte sich zum Narren. Das Mädchen störte seine Abendruhe und
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