Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Paladin

Der Paladin

Titel: Der Paladin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Cherryh
Vom Netzwerk:
losgegangen wäre.
    Er drückte sie fest an sich. »Willst du umkehren?«
    »Nach Hua«, sagte sie.

12
    Vom Himmel fiel ein schwacher Lichtschein in die Schlucht und auf eine flache, steinige Fläche, die mit den Leichen der Erschlagenen übersät war, mit Fleischfetzen und abgetrennten Gliedmaßen. Kein guter Ort für den Sonnenaufgang – wo sie der Gestank des Todes umgab und der Tag allmählich enthüllte, wie ein Langschwert einen Körper zurichten konnte, trotz Panzer und allem.
    Kein schöner Anblick für ein Mädchen, dachte Shoka, doch sein zweiter Gedanke war: Sie hat es so gewollt.
    Er wischte sich das angetrocknete Blut von den Händen, rieb über die Stoppeln in seinem Gesicht und entdeckte auch dort Blut. Taizu, die vielleicht gar nicht geschlafen hatte, machte den Eindruck, als ob sie erwachte; er sah ihre dunklen Augen, die feuchten Schlitze im Schatten, ihr Gesicht, das ebenso verschmutzt war wie sein eigenes. Jiro döste noch in ihrer Nähe, im Schutz der Felsen.
    Sie hatten sich in der Nacht nicht gewaschen. Sie hatten ihre Rüstungen angelegt, waren nahe bei den Felsen geblieben und hatten abwechselnd geschlafen –
falls
sie geschlafen hatte.
    Vielleicht war es ihr vor lauter Angst nicht möglich gewesen. Er hoffte, daß das der Grund war. Er hoffte, daß die Dinge so einfach, so natürlich waren.
    Er fuhr ihr mit den Fingern durch die Haare. »Wir stehen besser auf«, sagte er. »In aller Frühe. Bevor unsere Gegner munter werden.«
    Er erhob sich. Auch sie stand auf und blickte sich um, nahm ihr Schwert und ging zu den Toten, stupste eine Leiche an und ging weiter – blieb stehen, um einen Dolch und eine Scheide aufzuheben, die sie sich unter den Gürtel steckte, ihre Gegner ungerührt ausplündernd.
    Mit einem düsteren, kalten Gesichtsausdruck, der ihn erschauern ließ.
    Doch was sie tat, war eine praktische Maßnahme. Er zuckte die Achseln, wischte sich das Blut von den Fingern und schritt zwischen Leichen und abgehackten Körperteilen hindurch, auf der Suche nach etwas Wertvollem.
    Ein guter Dolch für sie, ein Ledergürtel und eine Seidenschnur – das sollte man sich nicht entgehen lassen: Seile verschlissen, und Schnüre rissen. Zwei nützliche Helme. Seinen hatte er vor zehn Jahren im Getümmel verloren, und sie hatte noch nie einen besessen. Ein goldenes Medaillon. »Hier«, sagte er und warf es ihr zu. »Aber trag es innen. So was kann dazu führen, daß dir die Kehle durchgeschnitten wird – in mehr als einer Beziehung.«
    Mit staunend aufgerissenem Mund betrachtete sie, was sie aufgefangen hatte. Sie legte es nicht an. Sie stopfte es in einen Beutel, den sie einem der Toten abgenommen hatte.
    Ein wenig Silber. Ein wenig Kupfer. Eine silberne Haarspange. Ein seidenes Halstuch. Das war ihre restliche Beute.
    Neun Leichen im Morgenlicht. Er zählte sie. Taizu wahrscheinlich auch.
    »Wir haben den Reisenden auf dieser Straße keinen schlechten Dienst erwiesen«, sagte er, als er Jiro sattelte und Taizu ihr Gepäck aufsammelte. »Das ist bestimmt ein gut Teil der Banditen von Hoisan.«
    »Hm«, machte sie.
    Wenigstens sagte sie nicht, das sei nichts. Wenigstens sagte sie nicht, es habe ihr Spaß gemacht. Beides hatte er bei Jungen, die ihren ersten Kampf hinter sich hatten, schon erlebt. Sie jedoch war anders. Vielleicht wie die Klügsten, die bei allem, was sie taten, ihr seelisches Gleichgewicht beibehielten: das war es, was er sie gelehrt hatte –
Deine Seele hat einen Mittelpunkt, Mädchen, ebenso wie dein Körper. Laß dich durch nichts von diesem Mittelpunkt abbringen.
    Wo bist du heute morgen, Mädchen?
    Oder hast du davon in Hua schon genug gesehen?
    Taizu, die zwischen den Toten wandelte. Taizu, die den Leichen die Waffen abnahm, die kaltblütig diesen oder jenen blutigen Fleischfetzen umdrehte, um nachzusehen, ob sich darunter etwas erbeuten ließ...
    Gütiger Himmel, was ist bloß aus Chiyaden geworden, daß es ein solches Mädchen hervorgebracht hat?
     
    Die im frühen Morgenlicht vor ihnen liegende Straße war ein unerfreuliches Durcheinander von herabgestürzten Felsen, verkrüppelten Kiefern, Gestrüpp und Buschwerk, das dort, wo sich die Schlucht verbreiterte, kleinen Bäumen Platz machte.
    Ein kleiner Wald, ein kleines Dickicht, eine Menge Felsen, zwischen denen sie sich hindurchschlängeln mußten, was weit mehr Zeit erforderte, als Shoka recht war, da sie an Felsen vorbeikamen, die groß genug waren, daß sich drei oder vier Männer dahinter verstecken konnten.

Weitere Kostenlose Bücher