Der Palast
mitarbeitete. Diese Hartnäckigkeit ging Reiko genauso auf die Nerven wie die unwillkommenen Vertraulichkeiten der Fürstin.
»Gestern habe ich meinen Gemahl beobachtet, als er in seiner Schreibstube an Unterlagen arbeitete«, sagte Fürstin Yanagisawa, die Reiko bereits anvertraut hatte, dass sie ihrem Mann nachspionierte. »Er hat eine wunderschöne Schrift. Und wie hübsch sein Gesicht aussah, als er sich über die Seiten beugte!«
Ihre bleichen Wangen röteten sich vor erwachender Leidenschaft. »Und als er mir auf dem Flur entgegenkam, streifte sein Arm meine Brüste …« Fürstin Yanagisawa streichelte sich über den Busen, als wollte sie die Berührung noch einmal genießen. »Einen Moment lang hat er mich angeschaut, und sein Blick entfachte ein Feuer in meinem Innern … das Herz schlug mir bis zum Hals. Dann ging er davon und ließ mich allein.« Sie seufzte tief.
Reiko waren diese Bekundungen peinlich. Anfangs war sie neugierig gewesen, was die Ehe der Fürstin betraf; mittlerweile aber hatte sie mehr darüber erfahren, als sie jemals wissen wollte. Sie wusste, dass Kammerherr Yanagisawa – der seinen Aufstieg zur Macht seinem Liebesverhältnis mit dem Shōgun verdankte –, sich eher zu Männern als zu Frauen hingezogen fühlte und deshalb nichts um seine Gemahlin gab. Fürstin Yanagisawa hingegen liebte ihren Mann leidenschaftlich, und wenngleich er ihr kaum Beachtung schenkte, gab sie die Hoffnung nicht auf, dass er ihre Liebe eines Tages erwiderte.
»Gestern Abend habe ich meinen Gemahl in seinem Schlafgemach beobachtet, wo er sich mit Kommandeur Hoshina aufhielt«, fuhr die Fürstin fort. Hoshina, derzeitiger Günstling und Geliebter Yanagisawas, lebte mit dem Kammerherrn zusammen in dessen Villa. »Sein Körper ist so stark, so männlich, so wunderschön …« Die Fürstin errötete noch tiefer, und die Begierde ließ ihre Stimme heiser werden. »Wie gern läge ich bei ihm!«
Reiko seufzte innerlich, fand aber keinen Vorwand, vor den intimen Geständnissen Fürstin Yanagisawas die Flucht zu ergreifen. Einst waren Sano und der Kammerherr erbitterte Feinde gewesen; nun aber herrschte seit fast drei Jahren Waffenstillstand zwischen den beiden Männern. Doch jede Beleidigung Yanagisawas oder eines seiner Familienangehörigen, Freunde und Vertrauten würde den Kammerherrn dazu bewegen, seine Angriffe gegen Sano wieder aufzunehmen. Deshalb musste Reiko die Freundschaft mit Fürstin Yanagisawa akzeptieren, auch wenn es gute Gründe gab, sie eher heute als morgen zu beenden.
»Nein, Kikuko -chan !«, rief die Fürstin plötzlich.
Reiko blickte in den Garten und sah Kikuko, die neunjährige Tochter der Fürstin, wie sie Blumen aus den Beeten riss, um Masahiro damit zu bewerfen. Das hübsche, aber geistig zurückgebliebene Mädchen war neben ihrem Gemahl der einzige andere Mensch, dem die Liebe und Hingabe der Fürstin galten. Reiko durchlief ein Frösteln, als sie die Kinder beobachtete, die nun die herausgerissenen Blumen aufsammelten. Sie wusste, wie sehr Fürstin Yanagisawa sie um ihren gut aussehenden Ehemann und ihren aufgeweckten Sohn beneidete. Das war auch der Grund dafür, dass die Fürstin zwar Reikos Freundschaft suchte, ihr zugleich aber Unglück wünschte: Im vergangenen Winter hatte Fürstin Yanagisawa einen »Unfall« arrangiert, bei dem ihre Tochter Kikuko beinahe Masahiro ertränkt hätte. Seitdem hatte Reiko den Jungen nicht mehr mit der Fürstin oder Kikuko allein gelassen und Sanos Ermittlern die Weisung erteilt, Masahiro zu bewachen, wenn sie von zu Hause fort war. Und wann immer sie Fürstin Yanagisawa besuchte, aß sie keinen Bissen und trank keinen Schluck, da sie befürchtete, dass die Fürstin sie vergiften wollte. Außerdem trug Reiko stets einen Dolch unter der Kleidung versteckt. Und wenn sie schlief oder das Haus verließ, wurde sie von Wachen beschützt. So viel Wachsamkeit bedeutete einen erheblichen Aufwand, doch Reiko wagte es nicht, die Beziehungen zur mächtigen Fürstin abzubrechen, um keine Vergeltung heraufzubeschwören.
Was hätte sie dafür gegeben, Fürstin Yanagisawa nie wieder sehen zu müssen!
Die Tür zur Villa öffnete sich, und Keisho-in erschien auf der Veranda – eine kleine, rundliche, zahnlose Frau Ende sechzig mit schwarz gefärbtem Haar und rundem, runzeligem Gesicht. Sie trug einen kurzen blauen Morgenmantel aus Baumwolle, der ihre weißen, von blauen Adern durchzogenen Beine sehen ließ. Der Mutter des Shōgun folgten mehrere Hausmädchen,
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