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Der Palast

Der Palast

Titel: Der Palast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rowland
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Verführerin.
    »Im Sommerhaus habt ihr mehr als nur geredet, als du glaubtest, ich würde schlafen«, sagte der Samurai.
    Ängstlich umfasste sie ihre Kehle. »Wie hast du es herausgefunden?«
    »Du hast ihm erlaubt, dich zu berühren … dich zu besitzen«, sagte der Samurai, ohne auf ihre Frage einzugehen. »Du hast ihn so geliebt, wie du mich einst geliebt hast!«
    Die Frau kannte seinen Jähzorn und duckte sich furchtsam. Entsetzen spiegelte sich in ihren Augen, als ihr Blick umherirrte wie auf der Suche nach einer Rettung, die es nicht gab. »Es war nur ein einziges Mal«, sagte sie. »Er hat mich ausgenutzt. Ich … ich habe einen Fehler gemacht. Er bedeutet mir nichts!« Doch ihre Lügen klangen schrill und verzweifelt. Sie streckte die Hand nach ihrem Gemahl aus. »Ich liebe nur dich. Bitte, verzeih mir!«
    Sie lächelte ihn lockend und verführerisch an, erreichte damit aber nur, dass der Zorn des Samurai überkochte. Wie konnte dieses Weib glauben, ihn auf so billige Art und Weise besänftigen zu können!
    »Du wirst für deine Treulosigkeit bezahlen!«, rief er, warf sich nach vorn und packte sie mit beiden Armen. Die Frau stieß einen schrillen Schrei aus, als er sie über Bord schleuderte.
    Sie stürzte seitlich ins Wasser, das bis ins Boot spritzte. Ihr langes Haar und ihre Kleidung wogten um ihren Kopf, der aus dem Wasser ragte, während sie panisch mit den Armen um sich schlug, um nicht in der bodenlosen Schwärze zu versinken. »Bitte!«, schrie sie schluchzend. »Es tut mir Leid! Vergib mir …!«
    Doch das Verlangen nach Rache war stärker als die Liebe, die der Samurai noch immer für seine Gemahlin empfand. Ohne sie weiter zu beachten, ergriff er die Ruder. Als die Frau die Hände über den Bordrand schob und versuchte, sich hochzuziehen, schlug er ihr mit dem Ruderblatt auf die Finger, dass sie vor Schmerz aufschrie und losließ. Dann entfernte er sich mit kräftigen Ruderschlägen.
    »Hilfe!«, kreischte die Frau in Todesangst. »Ich ertrinke!«
    Doch die Feuerwerksraketen krachten lauter als ihre Schreie und ihr Flehen; niemand kam zu ihrer Rettung. Während der Samurai weiter auf den See hinausruderte, beobachtete er, wie die Bewegungen seiner Gemahlin immer schwächer wurden, als ihre Kräfte erlahmten. Ihre Schreie wurden leiser, je weiter er sich von ihr entfernte.
    Ein Gefühl des Triumphs überkam den Samurai. Diese Frau hatte es nicht anders verdient. Er sah, wie ihr Kopf unter Wasser sank; Wellen wogten durch den Lichtkreis, den die Bootslampe warf, und verschwanden. Dann war nur noch Stille.
    Der Samurai ließ die Ruder sinken. Als sein Boot langsamer wurde und zum Stehen kam, verflog seine Genugtuung. Schuldgefühle stiegen in ihm auf. Er hatte seine geliebte Frau für immer verloren, getötet durch seine Hand. Schluchzer stiegen aus dem schwarzen Abgrund der Verzweiflung empor, der sich in seinem Innern aufgetan hatte. Nicht dass der Samurai eine Bestrafung durch die Gerichte befürchtete – niemand würde beweisen können, dass der Tod seiner Gemahlin ein Mord gewesen war. Und selbst wenn jemand Verdacht schöpfte, würde das Gesetz einen Mann von seinem Rang und Ansehen schützen.
    Doch seine Ehre als Samurai verlangte nach Sühne. Ein Weiterleben wäre unerträglich für ihn.
    Mit zitternden Händen zog er sein Kurzschwert. Sein gequältes Gesicht spiegelte sich auf der Stahlklinge, die im Licht der Bootslaterne schimmerte. Er nahm allen Mut zusammen, sprach flüsternd ein Gebet und schloss fest die Augen. Dann hob er das Schwert und schlitzte sich mit einem raschen Schnitt die Kehle auf.
    Ein letztes Mal glühte der Himmel im Licht der Feuerwerksraketen. Riesige Blumen aus farbigen Funken blühten auf und erloschen. Bald darauf bewegte sich die Flotte der Vergnügungsboote zum Ufer, und Stille senkte sich über den Biwa-See. Das einsame Boot des Samurai trieb im Licht seiner Hecklaterne dahin, bis die Flamme erlosch. Bald darauf war es mit der Nacht verschmolzen.

1.
    Edo
     

     
    Genroku-Ära
    7. Jahr, 5. Monat
    (Tokio, Juni 1694)
     
    G
    lühende Sommerhitze lag über der Metropole. Ein blassblauer Himmel spiegelte sich in den Kanälen, die von heftigen Regengüssen angeschwollen waren, von denen Edo fast täglich heimgesucht wurde. Die bunten Segel der Vergnügungsboote blähten sich inmitten der Fähren und Barken auf dem Fluss Sumida. Auf den Hauptstraßen und in den Tempelgärten ließen Kinder Drachen steigen, die wie Vögel geformt waren. Im Händlerviertel Nihonbashi

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