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Der Palast

Der Palast

Titel: Der Palast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rowland
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weil die junge Frau zu viel Platz benötigte, und die wortkarge Fürstin Yanagisawa war Keisho-in zu langweilig. Midori wiederum suchte Reikos Gesellschaft, da sie sich vor Fürstin Yanagisawa fürchtete, und die Fürstin schließlich wollte niemand anders um sich haben als Reiko. Also musste Reiko versuchen, ihre Zeit zwischen ihren drei Begleiterinnen zu teilen.
    »In dieser feuchten Kälte tun mir sämtliche Knochen weh«, beklagte sich Keisho-in und streckte die Beine aus. »Massiere mir die Füße.«
    Reiko rieb der Fürstin die knotigen Zehen, wobei sie hoffte, dadurch nicht die Begierde Keisho-ins zu wecken. Bisher hatte die Fürstin ihr sexuelles Verlangen mit Soldaten aus der Begleitmannschaft sowie mit Hofdamen und Dienerinnen gestillt, die in sechs Sänften mitreisten. Doch Reiko befürchtete noch immer, dass Keisho-ins begehrliche Blicke auch wieder auf sie fallen könnten. Als sie daran dachte, dass mindestens noch zwei Tage vergehen würden, bis sie ihr Ziel erreichten, stieß sie einen leisen Seufzer aus. Der Fudschijama, wenngleich hinter Wolken verborgen, erschien ihr so fern wie das Ende der Welt, und bis zu ihrer Heimkehr schienen Äonen zu vergehen. Sie betete, dass irgendetwas geschah, das die Reise verkürzte.
    Die Straße wand sich durch eine Schlucht, die zu beiden Seiten von hohen, steilen Felswänden begrenzt wurde. Verkrüppelte Fichten krallten ihre Wurzeln in den steinigen Boden; immer wieder lösten sich kleine Felsstücke aus den Wänden und fielen auf den Grund der Schlucht. Als der Pilgerzug tiefer in die Schlucht gelangte, senkten die Felswände auf der rechten Seiten sich allmählich ab und wichen ebenem, bewaldetem Gelände. Voraus verschwand die Straße hinter einer Biegung zwischen duftenden Zedern auf der einen Seite und nacktem Fels auf der anderen.
    Mit einem Mal spürte Reiko, wie die Atmosphäre sich veränderte. Schlagartig war sie hellwach, erstarrte und lauschte angespannt.
    »Warum massiert Ihr nicht weiter?«, fragte Keisho-in gereizt.
    »Irgendetwas stimmt nicht …« Reiko steckte den Kopf aus dem Fenster und lauschte. »Es ist so still. Ich kann keine Vögel mehr hören, und uns sind schon längere Zeit keine Reisenden mehr begegnet …« Furcht überkam Reiko, und plötzlich schlug ihr das Herz bis zum Hals. Vor der Sänfte ritten die beiden Ermittler, die Sano zur Bewachung der Frauen abkommandiert hatte. Reiko sah, wie die Männer aufmerksam die Blicke umherschweifen ließen, als spürten auch sie eine Gefahr. In diesem Augenblick hörte sie das Zischen. Vom oberen Rand der Felswand zur Linken ging ein Schauer schlanker Geschosse auf die Reisenden nieder. Ein Soldat schrie auf und brach zusammen. Ein Pfeil ragte aus seinem Hals. Binnen Sekunden verwandelte der Pilgerzug sich in ein heilloses Durcheinander, als die Soldaten und Diener vor den Pfeilen in Deckung flohen. Pferde wieherten schrill, gingen durch und preschten in wildem Galopp davon. Hastig zog Reiko den Kopf in die Sänfte zurück.
    »Was ist geschehen?«, wollte Keisho-in wissen.
    »Wir werden beschossen! Duckt Euch!« Reiko stieß die Fürstin auf den mit Kissen ausgelegten Boden und schloss hastig das Fenster, als auch schon die ersten Pfeile in Wände und Dach der Sänfte einschlugen. In die Rufe der Soldaten und Bediensteten mischten sich die ängstlichen Schreie der Frauen in den anderen Sänften.
    Draußen rief der Hauptmann der Begleittruppe: »In Deckung! Lauft! Schnell, schnell!«
    Ein Ruck ging durch die Sänfte, die sich immer schneller bewegte, als die Träger sie aus dem Pfeilhagel hinaus und in Sicherheit zu bringen versuchten. Hufschlag und Schreie erklangen und vermischten sich mit dem Sirren der Pfeile, von denen immer mehr in die Schlucht niedergingen. Die Stahlspitzen der Geschosse schlugen dumpf ins Holz der Sänften und Kisten, trafen klirrend auf die Rüstungen der Soldaten oder drangen mit einem scheußlichen Laut in menschliche Leiber. Männer brüllten in Todesqualen. Im nächsten Moment fiel die Sänfte krachend auf den felsigen Boden. Das Fenster flog aus den Angeln, und Reiko wurde unsanft gegen Fürstin Keisho-in geschleudert.
    »Unsere Träger sind tot!« Entsetzen packte Reiko, als sie aus der Fensteröffnung schaute und die Sänftenträger regungslos am Boden sah, niedergedrückt vom Gewicht der Tragestangen, die noch auf ihren Schultern lagen. »Wir sitzen fest!« Reiko sah, wie ein Stück die Straße hinauf fliehende Soldaten von den Pfeilen der Angreifer niedergemäht

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