Der Parasit: Kurzgeschichte
räuspern, saß er still da und wartete. Ich wandte den Kopf ab und starrte aus dem Badezimmerfenster auf den Hartriegelstrauch im Garten. Kirkhasste Gartenarbeit. Um die Stiefmütterchen und Gardenien kümmerte ich mich an meinen Tagen. Um die Rosenbüsche. Den Pfirsichbaum. Nur ich allein. Und völlig umsonst, sobald herauskäme, was gestern Nacht passiert war.
Die arme Frau. Die arme, arme Frau.
»Rot?«, fragte Kirk. Er stand vor dem Krawattenregal. Wir trugen immer farblich abgestimmte Krawatten. Mein einziges Zugeständnis an die Mode.
Ich zuckte die Achseln.
Er seufzte tief. »Wayne, es ist nicht mehr zu ändern. Was geschehen ist, ist geschehen.«
»Mir fällt auf, dass du den Fernseher nicht angeschaltet hast.«
»Ich wollte nicht, dass du wahnsinnig wirst.«
»Wahnsinnig«, sagte ich. Das war nicht gegen ihn gerichtet, ich sagte nur einfach das Wort.
Kirks Adamsapfel hüpfte. Doch er sagte nichts. Während er sich die rote Seidenkrawatte um den Hals band, starrte ich ihn im Spiegel an. Bilder von gestern Nacht schossen mir durch den Kopf: das Blut, die Schreie, das Entsetzen.
Was hast du getan?
Nicht aus der Bibel, sondern von John Greenleaf Whittier. Ob man im Gefängnis wohl Gedichte lesen durfte?
»Wayne?« In Kirks Ton schwang Ungeduld.
Meine Hand zog den Windsorknoten an seiner Kehle fest. Er tat dasselbe bei mir, dann befestigte er die Krawatte an meiner Seite unseres Hemdes, damit sie nicht hin und her baumelte wie ein Galgenstrick.
Kirk sagte, »Wir werden dafür nicht hängen.«
Ich kaute an meiner Lippe. »Die Fahndung wird nicht lange dauern. ,Zuletzt in Begleitung siamesischer Zwillinge gesehen.‘ Das dürfte den Kreis der Verdächtigen stark eingrenzen. Wahrscheinlich stellen sie schon den Durchsuchungsbefehl aus.«
»Schluss jetzt, Wayne. Was willst du denn machen? Die Polizeianrufen und denen sagen, sie sollen mich abholen?«
»Genau das sollte ich tun.«
»Da wäre ich gern dabei.«
Ich starrte ihn an. Er starrte zurück.
Noch nie im Leben hatte ich dabei gegen Kirk gewonnen. Ich schaute wieder hinaus in den Garten. Die Bäume verschwammen. Ich räusperte mich. »Was du getan hast, war unrecht.«
»Und was ist mit dem, was mir angetan wurde? Glaubst du, ich lebe gerne so?« Einen Moment lang versagte ihm die Stimme. »Ich wäre längst verheiratet. Hätte Kinder. Wahrscheinlich würde ich ein Unternehmen wie IBM leiten oder so.«
Ich hasste es, wenn er so redete. Es zerriss mir das Herz, weil ich wusste, dass nur ich ihm dabei im Weg stand.
Trotzdem gab es für das, was er gestern Nacht getan hatte, keine Entschuldigung. Er konnte nicht einer anderen Person das Leben nehmen, um sich für unseres zu rächen.
Ich sagte: »Wenn du dich stellst, bekommst du mildernde Umstände.«
»Du siehst dir zu viele Krimis an.«
»Was soll ich denn sonst machen, während du in den Chats herumhängst und dich als verheirateter dreifacher Vater auf der Suche nach einem kleinen Abenteuer ausgibst?«
»So was nennt man ein Fantasieleben, Wayne. Wenn du eines hättest, würdest du das vielleicht verstehen.«
»Du hast ja keine Ahnung, was ich für Fantasien habe.«
Wir sahen uns an. Dass das nicht ganz stimmte, wussten wir beide. Zwar konnten wir nicht im eigentlichen Sinn unsere Gedanken lesen, doch es gab eine unerklärliche Verbindung, die uns verriet, was dem anderen gerade im Kopf herumging.
Kirk leerte seine Kaffeetasse. »Warum musst du andauernd schwarzsehen? Du rechnest immer mit dem Schlimmsten, und dann …«
»Passiert es auch.« Ich zerrte an meiner Krawatte, bekam plötzlich Platzangst. Laut unserem Wecker auf dem Nachttisch war es 6:35 Uhr. »Wir kommen zu spät zur Arbeit.«
• • •
Früher waren wir abwechselnd zur Arbeit gefahren, doch dann hatte Kirk seinen Führerschein verloren. Wegen Fahrens mit stark überhöhter Geschwindigkeit. So elegant mein Bruder sich auf der Tanzfläche bewegte – sein Fuß war aus Blei. Nicht genug damit, dass er durch eine verkehrsberuhigte Schulzone gerast war, er hatte dabei auch noch fast ein Kind überfahren. Einen kleinen Jungen. Den Sohn eines Cops. Kirk hatte verdammt viel Glück gehabt, dass er nicht im Knast gelandet war. Und er konnte froh sein, dass ich ihn nicht erdrosselt hatte. Denn natürlich hatte er versucht, dem Richter weiszumachen, dass ich es gewesen sei, sein kleiner Bruder, der vor der Amish-Friends-Schule zu schnell gefahren war. Doch die Aussage der Schülerlotsin hatte mich entlastet. Dem Himmel sei
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