Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Parasit: Kurzgeschichte

Der Parasit: Kurzgeschichte

Titel: Der Parasit: Kurzgeschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
Vom Netzwerk:
…«
    »Siamesische Zwillinge?« Diesmal hob und senkte sich mein Brustkorb zusammen mit Kirks, wir holten gleichzeitig tief Luft.
    Von allen Fragen, die uns gestellt wurden, war diese die dümmste. An die ängstlichen und entsetzten Blicke hatte ich mich längst gewöhnt. Wir hatten zu Hause einen Spiegel. Ich wusste, was für ein seltsamer Anblick es war, wenn wir die Straße entlang gingen. Zwei Köpfe. Ein Beinpaar. Zwei Arme. Wir wuchsen jeweils aus dem Torso des anderen wie ein gegabelter Ast an einem Apfelbaum. Kirk hatte zwei Schultern, ich eineinhalb. Wir teilten uns einen Magen, ein Herz, das Verdauungssystem, eine Milz, eine Leber und eine Bauchspeicheldrüse. Unsere Arme bewegten sich meist unabhängig von einander. Die Beine konnten wir beide steuern, aber keiner hatte eine Erklärung dafür, wie wir es schafften, gemeinsam zu gehen. Auch nicht die moderne Medizin, von der wir uns schon vor Jahren verabschiedet hatten. So weit ich sagen konnte, war es eine Frage des Willens und wer jeweils den stärkeren hatte. Was normalerweisebedeutete, dass Kirk bestimmte. Ihn juckte es, ich kratzte. Er furzte, ich sagte: »Verzeihung«. Er trank, und ich fing an, in voller Lautstärke Kirchenlieder zu grölen.
    Dass unser Zustand Fragen aufwarf, lag auf der Hand. Aber besonders diese eine war so blöd, dass sie einen wahnsinnig machen konnte. Wie lange waren wir schon zusammengewachsen?
    Wie lange atmete ich schon? Seit wann verstopfte Ohrenschmalz mein krankes Ohr? Wie lange drehte sich die Erde bereits, tanzten Wolken über den Himmel?
    Ich sagte: »Wir kamen so zur Welt«, bevor Kirk seine übliche »Unfall im Atomkraftwerk«-Bemerkung machen konnte. Ich fürchtete fast, dass dieses Mädchen ihm glauben würde.
    »Abgefahren.« Ihre Finger nestelten blind am Reißverschluss ihres Kleides.
    »Fass ihm damit auf keinen Fall ins Gesicht.« Kirks Stimme hatte einen scharfen Unterton. »Du bist mit mir zusammen, nicht mit ihm. Vergiss das nie.«
    Schließlich gab sie den Kampf mit dem Reißverschluss auf und zog sich das Kleid über den Kopf. Ich gab mir Mühe, es nicht zu tun, konnte aber nicht anders und riskierte einen Blick auf ihre festen Brüste und die sanfte Wölbung ihres Bauches unter der die dunkleren Ladyregionen begannen.
    Kirks Kopf fuhr herum und ich tat, als sei ich ganz damit beschäftigt, die Knicke im Kopfhörerkabel zu glätten. Trotzdem spürte ich, wie ich rot wurde. Dazu hatte ich kein Recht. Wir wechselten uns ab, jeden Tag war ein anderer an der Reihe. So hatten wir es immer gehalten. Das war die beste Möglichkeit, Streit zu vermeiden und trug dazu bei, dass keiner von uns, im Besonderen Kirk, allzu viel Mist bauen konnte. Ich war montags, mittwochs und freitags dran. Kirk hatte den Dienstag, den Donnerstag und den Samstag. Die Sonntage teilten wir uns, sodass ich zur Kirche gehen und Kirk später genau das tun konnte, was er gerade tat. Ehrlich gesagt glaube ich, dass er das mit Absicht machte. Der Samstag gehörte komplett ihm. Da hätteer bis zum Abwinken in Ausschweifungen schwelgen und mir dann Zeit geben können, mich zu erholen. Aber nein. Sobald ich von der Kirche nach Hause kam, sprühte er sich mit Parfüm ein, gelte sich das Haar nach hinten und bügelte unsere engen, tief sitzenden Jeans für seinen großen Ausgehabend.
    »Okay!« Kirk klatschte unsere Hände zusammen, was dazu führte, dass ich den Kopfhörer fallen ließ. »Die Party kann losgehen.«
    Sie bestieg ihn ohne weitere Umstände. Dass sie ihr Bein dabei um meines schlang, war unvermeidlich. Das Vibrieren in meinem Ei und das Ziehen, das ich dabei im Arschloch spürte, versuchte ich zu ignorieren. Ich setzte den Kopfhörer auf und startete den Film. »Vier Schwestern«. Nicht die neue Version mit Winona Ryder, sondern das Original mit Katharine Hepburn. Klasse Frau. Hager, athletisch. Viel eher mein Typ als die Junkie-Tante, die im Augenblick auf meiner Hälfte unseres Schoßes herumhopste wie ein Presslufthammer auf Speed.
    »Ja«, stöhnte Kirk. Dabei bewegte er die Hüfte so schnell auf und ab, dass sich mein Nacken verkrampfte, weil ich angestrengt versuchte, nicht mit dem Kopf gegen das Fenster zu schlagen. »Mach’s mir, Baby. Mach’s mir.«
    Nicht zum ersten Mal wünschte ich mir, ich hätte an Reisetabletten gedacht. Sobald ich nämlich versuchte, mich auf den Film zu konzentrieren, wurde ich fast seekrank. Kirk gegenüber hätte ich das nie zugegeben. Sein Kopf lag mehr auf einer Linie mit dem Rest unseres

Weitere Kostenlose Bücher