Der Pate von Bombay
wurde, von einem Ende der Grube zum anderen gesprungen war, wie er, unbekümmert um den Schmutz, in die Erde gegriffen und Hände voll davon zu ihr hinaufgereicht hatte, damit sie die Feuchtigkeit prüfte, wie er sich dann mit weit ausholenden Bewegungen die Hände abgeklopft hatte, so laut klatschend, daß sie zusammengefahren war. Jetzt war er erstarrt, selbst seine Lider gingen nur noch langsam und traurig auf und ab. Irgendwann, dachte sie, komme ich in den Hof, und dann hat auch das aufgehört, dann regt sich gar nichts mehr an ihm. Sie versuchte, nicht daran zu denken, doch der Gedanke schlich sich immer wieder ein, hartnäckig wie eine Fliege, schwoll immer mehr an, bis sie sich mit den Fäusten gegen die Stirn schlug. Ich werde noch verrückt, dachte sie. Ganz bestimmt.
Schließlich ergriff Mata-ji die Initiative. Der Sommer war vorbei, und alle ihre Bekannten waren fort, auch Manjeet und Asha mit ihren Familien. Eines Abends rüttelte ein Polizist am Tor, ein Paschtune. Als Iqbal-virji es bei fest geschlossener Kette einen Spaltbreit öffnete, warf der Polizist einen Brief hinein, der Alok-virji vor die Füße fiel. »In einer halben Stunde komme ich wieder und hole die Antwort«, flüsterte der Polizist und ging davon. In dem Umschlag steckte ein Brief ohne Unterschrift.
»Sardar-saab«, stand darin, »ich unterschreibe diesen Brief nicht, für den Fall, daß er in falsche Hände gerät. Aber Sie wissen, wer ich bin. Ich bin Ihr Freund, der Ihnen Früchte aus den Bergen bringt. Nun hören Sie mich als Ihren Freund an. Sie müssen fort. Man redet über Sie, und heute oder morgen wird Ihr Haus angegriffen. Verstehen Sie mich richtig: speziell Ihr Haus. Man kennt Ihre Söhne, man redet über das, was sie getan haben, und Sie sind in Gefahr, in höchster Gefahr. Sie müssen fort. Ich bereite alles vor. Wir kennen uns seit dreißig Jahren, ich war in Ihrem Haus zu Gast und Sie in meinem. Sie müssen fort, mein Freund. Ich kümmere mich um Ihr Haus.«
Papa-jis Gesicht blieb reglos wie ein Tonklumpen, als Iqbal-virji den Brief vorlas. Mata-ji nahm ihrem Sohn den Brief aus der Hand, zog sich ihren Dupatta über den Kopf und verhüllte damit ihr Gesicht. Sie wartete am Tor, und als das leise, dumpfe Klopfen ertönte, näherte sie ihren Mund dem Holz. »Sagen Sie ihm, wir gehen«, sagte sie.
»Halten Sie sich morgen abend um neun bereit«, sagte der Polizist. »Sie werden mit einem Tempo abgeholt. Für tausend Rupien pro Person. Nicht mehr und nicht weniger. Klar?«
»Ja«, sagte Mata-ji. »Klar.«
Sie packten die ganze Nacht und den ganzen Tag. Prabhjot Kaur staunte, wie viele Dinge ein Haus beherbergen konnte. Papiere, Kleider, Bücher, silberne Gefäße, Fotos, Stühle, noch mehr Kleider, Matratzen, teure Kämme, Schuhe - jeder besaß eine Menge Gegenstände, die mit festen Knoten vielfädiger Zeit an ihm befestigt waren, jeder hatte seine eigene schwere Fracht, die er nicht zurücklassen konnte. Prabhjot Kaur betrachtete die vielen Puppen, mit denen sie nicht mehr spielte, abgewetzte Köpfe, die sie jahrelang nicht mehr gestreichelt hatte, doch dann versuchte sie, alle in eine Papiertüte zu stopfen, füllte die Tüte mit diesen Gefährten längst vergangener Tage, bis das Papier riß. Gegen Abend standen Hof und Wohnzimmer voll mit schwankenden Bündeln aus Bettlaken, zentnerschweren Koffern und eisernen Truhen, die man nur zu viert anheben konnte. Prabhjot Kaur überlegte gerade, welche Bücher sie mitnehmen sollte, als Mata-ji hereingestürzt kam. »Hier, zieh das an.« Es war ein blaues Salvar-kamiz aus dicker Baumwolle mit einem Muster aus rechtwinkligen Linien. Prabhjot Kaur hatte vor drei Monaten beschlossen, daß es sich nur noch für zu Hause eignete. Doch Mata-ji sagte ungeduldig: »Nimm schon«, und Prabhjot Kaur nahm es. Sie wunderte sich über sein Gewicht, aber Mata-ji war schon wieder aus der Tür. Das Schwere war die Salvar, und als Prabhjot Kaur sie umdrehte, sah sie, daß direkt unter der Kordel, der Nada, kleine Stoffpäckchen innen an den Bund genäht waren. Sie enthielten Metall, diese kleinen Geheimtaschen, Gold, Prabhjot Kaur spürte die glatte Oberfläche von Halsketten und Armbändern. Sie zog sich um, und als sie in den Hof kam, sah sie, daß auch Mata-ji und ihre Schwestern weite, grobe Sachen anhatten, bereit für eine seltsame Reise. Alle bewegten sich unbeholfen unter der Last. Prabhjot Kaur hörte es klirren, als Mani an ihr vorbeiging, aber sie konnte nicht lachen über Manis
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