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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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Augen konnte sie am Ellbogen des Fahrers vorbei durch das Lenkrad und die Windschutzscheibe spähen. Sie sah die Umrisse von Wohnhäusern und Läden, das Weiß der Schilder und das tiefere Schwarz, wenn sich eine Seitenstraße auftat. Sie bogen ab und bogen noch einmal ab, der Motor ächzte und stotterte, und Prabhjot Kaur hatte keine Ahnung mehr, wo sie waren. Plötzlich knallte etwas mehrmals in den Himmel hinauf, den Prabhjot Kaur durch die schmutzige Scheibe sah, peng-peng-peng, als ließe ein Kind Luftballons platzen, und dann noch einmal, sehr schnell hintereinander. Es war ein fröhliches Geräusch, aber der Wagen kam ruckend und schleudernd zum Stehen, Prabhjot Kaur rutschte nach vorn. Und dann fuhren sie rückwärts, immer weiter rückwärts, so schnell, daß Prabhjot Kaur ihre Hände in Alok-virjis Hemd krampfte und zu weinen anfing. Sie hörte Männerstimmen, Rufe und deren Widerhall. Und Iqbal-virji: »Fahr hier links und dann in die Ravo Road.« Jetzt ging es wieder vorwärts, sie bogen nach rechts ab, und Prabhjot Kaur wurde von neuem herumgeworfen. An dem Vibrieren in ihrem Körper merkte sie, wie schnell sie fuhren. Orangefarbenes Licht fiel gleißend in den Wagen, und sie sah die silberne Rupie am Zündschlüssel baumeln, sah das Gesicht des Königs und Kaisers in allen Einzelheiten. Fauchend schössen die Flammen in den Himmel, füllten einen Moment lang die Windschutzscheibe und das Seitenfenster, und Prabhjot Kaur schloß die Augen. Wieder eine Kurve, irgendwo splitterte Glas, dann ein Knall, so laut, so nahe und so häßlich, daß Prabhjot Kaur sofort wußte: ein Schuß. Der Wagen schleuderte heftig, ein Schrei füllte Prabhjot Kaurs Kopf, sie flog nach vorn und prallte mit der Stirn auf Metall, und dann war nur noch ein blecherner Widerhall in ihrem Kopf. Sie lag auf der Seite und hörte Stimmengewirr und, nicht weit entfernt, ein anhaltendes Schreien, und sie wußte nicht, wo sie war, bis der dunkle Balken über ihr sich drehte und zurückwich und zu einer Speiche des Lenkrades wurde. Dann wieder der scharfe Knall, direkt über ihrem Kopf, und diesmal sah sie einen Blitz und warf sich tiefer in das Dunkel unter dem Lenkrad. Gleich darauf noch ein Schuß. Sie schloß die Augen.
    Sie hörte Mata-ji weinen, heisere, gurgelnde Laute, sonst war es ganz still. Ihr Magen krampfte sich zusammen, ihre Knie zitterten, und sie kämpfte dagegen an, aus Angst, das Zittern könnte sie verraten. Sie legte die rechte Hand auf ihren rechten Oberschenkel und drückte ihn mit aller Kraft nach unten. Metall schrammte, und sie wußte, es war die Wagentür, sie konnte nirgendwohin und wollte schreien, doch sie spannte die Muskeln an, um das Schreien zu unterdrücken. »Nikki, Nikki!« Es war Iqbal-virji. Behutsam zog er an ihr, sie löste sich aus ihrer Verkrampfung und hielt sich weinend an seinen Armen fest. Er hob sie aus dem Auto, sie schlang Arme und Beine um ihn. »Ist ja gut«, sagte er. Aber Mata-ji saß auf der Straße, und Mani versuchte sie zu trösten, Papa-ji lehnte mit hängendem Kopf hinten am Wagen, die Hände auf den Knien, und aus seinem Mund hing ein Speichelfaden. Alok-virji stand ein Stück entfernt und spähte um eine Hausecke. Dicht hinter ihm lag eine Gestalt auf der Erde, wie ein Kleiderbündel, das sich geöffnet und seinen Inhalt verstreut hat. Es war ein Mann. Da war der Kopf, da eine Hand. Es war der Fahrer.
    Alok-virji drehte sich um. »Wir müssen hier weg.«
    »Ich kann nicht Auto fahren«, sagte Iqbal-virji leise.
    Fassungslos sahen sie sich an, als hätten sie vergessen, diese Fähigkeit, die nun plötzlich ihre geheime Bedeutung offenbarte, in ihr sportliches Repertoire aufzunehmen.
    In diesem Moment hörte Mata-ji auf zu weinen und sagte: »Tötet sie.«
    Sie hatte so anhaltend und so laut geweint, daß Prabhjot Kaur die plötzliche Stille nach all dem Tumult um so deutlicher wahrnahm. Sie tat gut. Aber wen meinte Mata-ji? Sie sah erst ihren Mann an, dann den einen Sohn, dann den anderen.
    »Tötet sie«, sagte sie. »Bevor sie sie auch noch holen.«
    Prabhjot Kaur schaute zum Auto, dann auf die Straße. Navneet-bhenji war weg. Prabhjot Kaur hatte es bis jetzt nicht bemerkt, aber nun wurde es zur unausweichlichen Gewißheit. Sie hatten Navneet-bhenji geholt.
    Alok-virji kam auf Mata-ji zu, und Prabhjot Kaur sah, daß er in einer Hand eine Pistole und in der anderen etwas Langes, Gebogenes hielt. Sein Hemd war vorne links zerfetzt und gab seine eingefallene Brust frei. An seinem

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