Der Pate von Bombay
fuhren Sartaj und Katekar hin. Sie rechneten nicht damit, die beiden zu Hause anzutreffen, gedachten aber Angst und Unbehagen in der Familie zu verbreiten und die Brüder dadurch so weit zu bringen, daß sie sich stellten. Mit entsprechendem Getöse drangen sie in das Kholi ein. Sartaj trat mit dem Fuß die Tür auf und brüllte: »Wo sind die beiden Gaandus? Wo sind sie?«
Katekar holte die anderen Familienmitglieder aus den drei winzigen Räumen, einen Tattergreis, eine Frau und ein elf-oder zwölfjähriges Mädchen. Das Mädchen begann Sartaj in einem unaufhörlichen Wörtschwall zu beschimpfen, und die Frau legte ihr die Hand auf den Mund.
»Was haben sie denn getan?« fragte der zitternde Großvater.
Sartaj wandte sich an die Frau. »Sind Sie die Mutter von Kushal und Sanjeev?«
»Ja.«
»Wo sind die beiden?«
»Das weiß ich nicht.«
»Sie sind die Mutter und wissen nicht, wo Ihre Söhne stecken?«
»Nein.«
Sie war eine stämmige Frau, klein, breitschultrig und mit noch breiteren Hüften. Sie trug einen leuchtend roten Sari, dessen Pallu sie sich nun mit einer Hand eng um die Schultern zog, während sie mit der anderen Hand ihrer Tochter den Mund zuhielt.
»Wie heißen Sie?«
»Kaushalya.«
»Ist das Ihr Vater?«
»Nein, seiner.« Sie meinte ihren Mann.
»Und wo ist der?«
»In der Fabrik.«
»In welcher Fabrik?«
»Die machen Mithai.«
»Hier in der Nähe?«
Sie wies mit dem Kinn über die linke Schulter. »Beim Busdepot.«
Sartaj zeigte auf das Mädchen, das hinter der Hand der Mutter aufgehört hatte zu murren und ihn nun starr und aufmerksam ansah. »Wie heißt sie?« fragte er.
»Sushma.«
»Geh deinen Vater holen, Sushma.« Kaushalya nahm ihre Hand fort, doch ihre Tochter rührte sich nicht. Der offenkundige Haß des Mädchens kränkte Sartaj. »Geh«, knurrte er.
»Hast du nicht gehört?« sagte Kaushalya, und das Mädchen lief hinaus.
Sartaj ließ sich auf einem Stuhl neben der Tür nieder, stellte die Füße fest auf den Boden und spreizte die Knie. Katekar begann die Küchenecke zu durchsuchen, klapperte mit Töpfen und Tellern, nahm eine Flasche von einem Bord und roch vernehmlich daran. Kaushalya und ihr Schwiegervater zogen sich ins andere Zimmer zurück, und Sartaj hörte ihr eindringliches Geflüster.
Eigentlich hätte die Jagd auf Apradhis anders aussehen müssen: wilde Verfolgungen im Auto, Sprints durch volle Straßen, Tempo und Action bei dröhnender Hintergrundmusik. So hätte es Sartaj gefallen, aber im wirklichen Leben bestand die Jagd in der Einschüchterung einer Frau und eines alten Mannes. Es war eine erprobte und bewährte Polizeimethode, in das Leben einer Familie einzubrechen, bis der Informant redete, der Verbrecher sich ergab, der Unschuldige gestand. Katekar fläzte sich auf ein mit einem hellblauen Tuch bedecktes Sofa, und Sartaj rief nach Kaushalya und verlangte Chai und Kekse. Sie murrte hinter der Wand vor sich hin, ging dann aber hinaus und bat eine Nachbarin, zu der Dhaba an der Ecke zu gehen. Mit eingezogenem Kopf und mahlendem Kiefer kam sie zurück, stolzierte an ihm vorbei und verschwand wieder im hinteren Zimmer, ihrem sicheren Hort.
Die weißen Wände waren kahl bis auf ein Bord mit Fotos von Kaushalyas Hochzeit und ihren drei Kindern. Sushma lachte fröhlich aus einem herzförmigen rosa Rahmen heraus. Sartaj lehnte den Kopf an die Wand und schloß die Augen, aber er war zu unruhig, zu angespannt, um zu dösen, und richtete sich gleich wieder auf. Katekar las interessiert in einer alten Ausgabe von Filmi Kaliyan. Auf dem Umschlag war in der linken Ecke ein Foto von Bipasha Basu, die Arme unter dem wogenden Busen verschränkt. Sartaj verübelte ihr das drängende Verlangen, das augenblicklich aus seinen Lenden aufstieg. Er straffte sich, setzte sich diskret zurecht und mußte sich dann vorbeugen, um sich zu verbergen. Zur Hölle mit dir, Bipasha. Er hatte vor acht Monaten zum letzten Mal Sex gehabt, mit der Lokalkorrespondentin einer Marathi-Nachmittagszeitung. Sie hatte ihn aufgesucht, um ihm für eine große Titelgeschichte knallharte Fragen zu Tanzbars und Barmädchen zu stellen, und ihre breiten Schultern, ihre schlanken, langen Beine, ihre weiten grünen Jeans, ihr Zynismus und ihre Kompetenz hatten Sartaj sehr beeindruckt. Sie hatten sich dreimal getroffen, in drei verschiedenen Restaurants, und jedesmal hatte sie vorsorglich ihren Mann erwähnt, einen Journalisten bei einer anderen Marathi-Tageszeitung. Am dritten Nachmittag aber, bei
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