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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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»Ein guter Junge. Wie ist er denn mit den beiden aneinandergeraten?«
    Sie legte den Kopf schräg. Sie wußte es nicht.
    »Kannten Sie Reyaz-bhai, diesen Bihari-Freund von den dreien?«
    Wieder bewegte Moina Khatoon langsam den Kopf.
    Auf der Gasse draußen wurde es still, und in dieser Stille gähnte ein Abgrund des Verlustes. Sartaj kam sich vor, als wäre er über eine Kante gestolpert, und er wußte nicht recht, was er als nächstes tun, wo er Druck ausüben sollte und ob Druck überhaupt ratsam war. Da ergriff Katekar das Wort.
    »Es ist gegen die Natur, daß ein Sohn vor seinen Eltern stirbt. Das kann man einfach nicht hinnehmen. Aber er« - Katekar deutete nach oben -, »er gibt und nimmt nach seinem Willen. Er bestimmt unser Schicksal.«
    Moina Khatoon fing an zu weinen. Sie tupfte sich die Augen, und ihre Schultern krümmten sich. »Wir müssen es hinnehmen«, sagte sie heiser. »Wir müssen es hinnehmen.«
    Katekar legte die Hände ineinander und neigte leicht den Oberköper vor, voller Anteilnahme und nicht im mindesten drohend. »Wie alt war Shamsul?«
    »Achtzehn erst. Nächsten Monat wäre er neunzehn geworden.«
    »Er war ein gutaussehender junger Mann. Wollte er bald heiraten?«
    »Es gab schon Anfragen.« Moina Khatoon belebte sich, und die Erinnerung an vergangene Diskussionen hellte ihre Miene auf. »Aber er wollte, daß zuerst seine Schwestern heiraten. Ich hab gesagt, die Jüngste ist gerade neun, bis zu ihrer Mala badol 391 bist du ein alter Mann. Aber Shammu hat gemeint, so jung zu heiraten sei dumm. Erst will ich einen eigenen Hausstand haben, hat er gesagt, wieso soll man heiraten, wenn man dann weiter bei den Eltern wohnt und Frau und Schwiegermutter sich zanken? Er wollte nicht auf uns hören. Erst sie, dann ich, hat er immer gesagt.«
    »Ein guter Junge. Und ein schönes Kholi hat er Ihnen gekauft.«
    »Ja. Er hat hart gearbeitet.«
    »Wissen Sie, was für eine Arbeit das war?«
    »Er war bei dieser Firma, als Paketbote.«
    »Aber er hat außerdem auch mit Bazil und Faraj zusammengearbeitet, oder?«
    »Davon weiß ich nichts.«
    Sartaj sah Moina Khatoon an, daß sie ihm nichts verschwieg; sie wußte wirklich nicht, was für Geschäfte ihr Sohn mit den Mördern gemacht hatte. Das war plausibel, der Junge hatte seiner Mutter natürlich nichts von seinen kriminellen Machenschaften erzählt. Doch Katekar wollte noch nicht aufgeben.
    »Die drei waren gute Freunde. Sind sie hier in diesem Basti zusammen aufgewachsen?«
    »Ja.«
    »Warum haben sie sich gestritten?«
    »Faraj war immer neidisch auf meinen Sohn. Er hatte keine Arbeit, hat gar nichts gemacht. Schon als Kind hat er dauernd mit Shammu gestritten.« Sie lief dunkel an, schüttelte die Faust und verfiel ins Bengali. Der Dupatta rutschte ihr vom Kopf, ihre Stimme wurde rauh, und sie begann zu schreien. Ihr Kummer schnürte Sartaj die Kehle zu, und er ging hinaus, um Wasim zu holen.
    »Sie beschimpft Faraj und seine Familie, Saab«, übersetzte Wasim. »Teufel seien die, sagt sie.«
    Moina Khatoons Gesicht hatte seine Starre verloren, seine Konturen zerflossen, und Sartaj konnte sie kaum noch ansehen. Er räusperte sich. »Nichts Brauchbares?«
    »Nein«, sagte Wasim.
    »Gut. Gehen wir.«
    Er ging hinaus. Katekar winkte der Frau zu und folgte ihm. Sie waren schon fast um die Ecke, da rief sie ihnen auf Hindi nach: »Lassen Sie sie nicht davonkommen! Schnappen Sie sie! Lassen Sie nicht locker!«
    Sartaj schaute zu ihr zurück und ging dann weiter. Zur Hauptstraße hin, wo sie den Gypsy geparkt hatten, wurde die Gasse breiter. Sartaj verlangsamte seinen Schritt, ließ Katekar aufholen und nickte ihm zu.
    »Wasim«, sagte Sartaj.
    »Ja, Saab?« Wasim eilte heran, glatt und ruhig, die Rechtschaffenheit in Person.
    »Okay, hören Sie zu, Sie Scheißkerl«, sagte Sartaj. »Dieser Birendra Prasad ...«
    »Wirklich, Saab, der ist nicht das Problem. Die Söhne, wie gesagt, die machen den Ärger.«
    Eine Mauer zu ihrer Linken war mit Werbung für Zement und Gesichtspuder bemalt. Sartaj trat heran und zog den Reißverschluß seiner Hose auf. »Jetzt hören Sie mir mal gut zu. Sie sagen, ich bin älter als Sie, also gebe ich Ihnen einen Rat: Halten Sie sich nicht für schlauer als die Leute, mit denen Sie zusammenarbeiten wollen. Verschweigen Sie nichts, was diese Leute wissen müssen.« Sartajs Strahl traf laut plätschernd auf den Fuß der Mauer, und erst jetzt merkte er, wie stark sein Drang gewesen war. »Kommen Sie mir nicht mit

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